Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen
trinken, was ich tat. Kleinste Gesten sind ja gerade beim ersten Treffen ganz entscheidend. Und bis heute sehe ich mich durch die Wirkung dieses für mich zu ungewohnt früher Stunde getrunkenen Bieres in gewisser Weise für die seltenen süßen Freiheiten entschuldigt, die meine Frau und ich in der Sauna des Elternhauses wenige Stunden später auf unsicheren Füßen zu genießen wagten.
1952 fanden auch die Olympischen Spiele in Helsinki statt. Wunderläufer Paavo Nurmi entzündete das Feuer, Pirkko jubelte live im Stadion und sah beim Einmarsch der Nationen sechzehnjährig den ersten Afrikaner - musta mies - ihres Lebens. Als Freiwilliger in Zivil hielt Gefreiter Aulis Päiviö das Begrenzungsband für den Marathon beim Kehrpunkt auf 22,5 km.
»Zatopek won. No rain. Sun was shining«, erinnert er sich bis heute gerne, und nicht einmal mein professionell geschulter Schwager Robert war in der Lage, dem guten Mann mehr als diesen 30-Sekunden-O-Ton zu entlocken.
Neben Holz und Langstreckenläufern waren übrigens Frauen das mit Abstand erfolgreichste Exportprodukt
des frühen Nachkriegsfinnlands. Allein im Großraum Hamburg hatten in Kuuselas Gefolge mehr als fünftausend Finninnen einen deutschen Ehemann gesucht und gefunden. Bis heute bilden diese mutigen Pionierinnen das eigentliche Fundament der deutsch-finnischen Beziehungen. Es war am Anfang gewiss nicht alles leicht für sie.
Und auch nicht für ihre Männer.
STEMPEL
W ir brauchen aber der Beglaubigung, Frau Päiviö, wir brauchen aber der Beglaubigung, ohne der Beglaubigung können wir leider nichts machen, Frau Päiviö«, äfft meine finnische Frau eine mir unbekannte Mitarbeiterin des Bürgerbüros Friedrichshain-Kreuzberg nach und schwört, »nie wieder auf dieser Scheißbehörde« zu gehen.
»Wie einer Russin« habe man sie behandelt, schreit sie wie von Sinnen und ist kurz davor, die einzige Alvar-Aalto-Nierenvase unseres Haushalts gegen die Wohnzimmerwand zu schmettern. »Und weißt du, dann ruft der noch ihres Vorgesetzter an und fragt, ob Finnland auch wirklich in das EU ist. Ob FINNLAND in das EU ist, stell dich das mal vor!«
»Du, ich stelle es mir vor, aber jetzt leg erst mal die Vase wieder zurück. Das ist eben der Osten. Die behandeln alle wie Russen, das darfst du nicht persönlich nehmen.«
»Dann heiraten wir eben nicht!«, kreischt meine Frau. Und: »Die haben ja nicht mal E-Mail!«
»Ja, weiß ich doch, ist halt nicht Finnland.«
»Aber ich habe doch das Richtlinie dabeigehabt, habe ihr die Paragraf genau gezeigt, da steht der ganz genau drin mit der Dokumenten!«
»Aber eben nur auf Finnisch«, wende ich ein.
»Na, das kann der dann auf Deutsch schon finden, wenn der nur will. Habe ich der auch gesagt: ›Paragraf 47, das kannst du schon finden, wenn du willst!‹«
»Du hast die Beamtin geduzt?«, frage ich und verspreche, das nächste Mal einfach mitzugehen.
»Ich kömme aber nicht. Kannst du alleine gehen, mit diese Scheiße-Arschlöcher-Deutsche-Behörden.«
Sie kann sehr ungerecht sein, meine finnische Frau.
Nach eineinhalb Stunden ist es so weit. 281 blinkt. Das sind wir. Zweiter Stock, rechter Gang, drittes Zimmer. Herr Wensauer, Oberamtsrat. Herr Wensauer, stellt sich schnell heraus, ist mit einer Finnin verheiratet. Glücklich, wie er hinzufügt. Seine Frau stamme aus Kouvola, aber kennen gelernt habe man einander in Hamburg.
In Kouvola hat meine Frau eine Cousine. Sofort werden Namen abgeglichen und zahlreiche gemeinsame Bekannte ermittelt. In Finnland ist es nämlich so, dass jeder Einwohner des Landes in jedem Ort des Landes mindestens einen Verwandten oder wenigstens Exfreund oder eine Exfreundin eines Verwandten kennt. Es ist ein fein gesponnenes Netz, dem niemand entgeht.
Wir erörtern die Vor- und Nachteile der Fährverbindungen von Rostock oder aber Travemünde. Was man so redet, unter Finnmännern. Seit dreiundzwanzig Jahren,
erklärt Herr Wensauer, fahre er mit seiner Frau jedes Jahr einen Monat in das Mökki, und seit dreiundzwanzig Jahren überführe er dabei für seinen finnischen Schwager Gebrauchtwagen aus Deutschland.
»Alte Golfs, Opel oder Mazda, sind die ganz scharf drauf«, erklärt Herr Wensauer und schüttelt amüsiert den Kopf. »Die Chose gestaltet sich aber jedes Jahr schwieriger - die Polen, verstehnse, die kaufen alles weg.«
»Ja, und der Rüssen«, fügt meine Frau hinzu.
»Ich nehme an, Frau Päiviö, Sie wollen Ihren Namen behalten«, leitet Herr Wensauer den
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