Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen
so gut wie blind«, rufe ich zurück.
»Der hat sowieso nicht mehr viel gesehen.«
Das stimmt nun auch wieder. Hatte die Mütze weit über beide Augen gezogen, pipo silmillä , wie man hier sagt. Mit Sicherheit zu viel Bowle, vor allem aber zu viele Kossu-Schlucke aus dem silbernen Waidmann, der zur Standardausrüstung einer finnischen Sommerhochzeit gehört. Es ist nicht seine Schuld. Schuld ist überhaupt ein viel zu großes Wort.
»Wo ist die Franz eigentlich hin?«, fragt meine Frau, »Auf eines Mal war es verschwunden.«
»Ich weiß nicht. Bevor er ins Wasser ist, hat er sich angeregt mit meinem Vater unterhalten, aber danach, keine Ahnung.«
Es gehört, wie Sie vielleicht bereits ahnen, zu den gefährlichsten Eigenheiten des Finnen, nach übermäßigem Alkoholgenuss einen starken, ja, übermächtigen Drang zum Badegang im heimischen Waldsee zu verspüren. Und insbesondere bei Charakteren wie unserem Freund Franz bleibt dabei bis zur letzten Sekunde offen, ob sich der Betroffene nun erfrischen oder ertränken will. Jedenfalls stand er auf einmal nackend am Steg und warf sich, zur großen Begeisterung vor allem meiner deutschen Verwandtschaft, mit den Worten
»Das Licht, die Sonne und die Sonntagsluft« in den See.
Er muss sich in der Schlafhütte entkleidet haben.
»Vielleicht ist er ja in der aitta eingeschlafen«, rufe ich meiner nackt schimmernden Finnfrau zu.
In der aitta ist er aber nicht, wie eine kurze Durchsuchung ergibt.
»Voi himputti!« , meldet meine Frau, »ich glaube, er hat deines Anzughose genommen.«
Ärgerlich, in der Tat, allerdings auch keine Katastrophe. Denn sollte, was durchaus im Bereich des Möglichen liegt, Franz bis morgen Mittag nicht wieder aufgetaucht sein, können wir ja immer noch allen meinen Verwandten erzählen, es sei ein alter finnischer Brauch, in der Hose eines guten Freundes zu heiraten. Die Ausrede funktioniert immer. Selbst der peinlichste Aussetzer, ich habe es unzählige Male erlebt, wird heiter verziehen und die bitterste Grillwurst fröhlich genossen, sofern das Malheur nur von einem ernst vorgetragenen »Das ist eben finnisch« begleitet wird.
Aber wo nur ist Franz? Nach allem, was wir wissen, könnte er auch ziellos in den Wald gerannt und dort von einem finnischen Braunbären, karhu , niedergestreckt worden sein. Es gibt hier Bären im Wald, kein Scherz. Gerade erst vor zwei Wochen wurde eine Bärenmutter, emo , mit zwei Jungen in einem benachbarten Forst gesichtet - stand im Joutsan Seutu als großer Aufmacher. Meine Mutter hat daraufhin bei Intersport in Karlsruhe extra noch zwei Bärenklingeln für die frisch erworbenen
Fjäll-Räven-Windjacken geordert. Geklingel schreckt ihn nämlich ab, den Bären. Steht er aber trotzdem plötzlich im Wald vor einem, bloß nicht wegrennen, das ist absolut aussichtslos und sehr wahrscheinlich das Ende. Nein, sich auf den Bauch legen, tot stellen und hoffen - das ist der einzige vernünftige Rat, der gegeben werden kann.
»Er hat danach noch mit die Corinna was getrunken«, sagt meine Frau, und legt Franz’ Brille auf dem Köderregal im Vorraum der Sauna ab.
»Die beiden haben sich schon auf der Hinfahrt im Zug nach Mäntyharju kennengelernt.«
»Habe ich doch gewüsst, dass es da noch Mauserei gibt.«
Kunststück. Was ist schon zu erwarten, wenn eine achtundzwanzigjährige Freiburger Dramaturgieassistentin auf der Suche und ein zweiunddreißigjähriger finnischer Philosoph mit hervorragenden Deutschkenntnissen für zwei Stunden ein Zugabteil teilen?
Franz, der eigentlich Juha heißt, hat bei Frauen einen Stein im Brett, das ist bekannt. Mit seinen scheuen Rehaugen hinter der Nickelbrille, den im Zwanzigerjahre-Stil nach hinten gegelten schwarzen Haaren und seiner ewigen Kombination aus schwarzem Anzug und schwarzem Rollkragenpullover kann er ungeheuer charmant und gewinnend wirken. Vor allem, wenn der Pegel stimmt.
Ich mache mir jetzt doch ernsthaft Sorgen um meine Hochzeitshose.
COSMIC COMIC
L eise rieselt der Schnee. Nicht einmal die Einheimischen scheinen zu wissen, wie sie bei diesen Verhältnissen vorwärtskommen sollen. Tonnen städtischen Streusalzes liegen unter einer fünfzehn Zentimeter dicken Packeisschicht begraben, auf die in der letzten Stunde gut zehn Zentimeter eisig feiner Neuschnee gefallen sind.
In Heidelberg hätten sie längst Katastrophenalarm ausgelöst.
Wie Pinguine stehen wir an der Haltestelle des Marktplatzes, kauppatori , und warten, bis ein weiterer orangefarbener Bus auf
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