Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen
Holzschubladen des Hauses waren geöffnet und durchwühlt. Irgendetwas musste ich gesucht haben. Oder er.
Meine finnische Frau kam nach wenigen Minuten mit einer kleinen Holzkiste unter dem Arm aus dem Haus zurück, der sie vergilbte Papiere und Dokumente entnahm, die sie mir einzeln zeigte und in ihrer Bedeutung erklärte, bevor sie den Inhalt Blatt für Blatt in die neu entfachten Flammen der Feuerstelle warf. Nie wieder haben wir danach Ekis Schritte gehört noch ihn am Küchenfenster des Hauses stehen sehen.
Den Bahnhof aber hat meine finnische Frau vor zwei Jahren für ein Achtfaches des einstigen Kaufpreises an einen jungen russischen Unternehmer aus Viipuri verkauft. Fast wäre der Deal geplatzt, denn das Landesamt in Heinävesi stellte sich ganz schön an, verlangte immer neue Dokumente und beglaubigte Kopien aus Russland, gerade so als ob ihnen die Nationalität des Käufers nicht recht geheuer wäre.
Was uns vom Koivumäki bis heute bleibt, ist neben der Kohle allein die alte Holzkiste, in der meine Frau und ich nun unsere eigenen Dokumente aufbewahren. Seit vier Wochen liegt darin auch eine Heiratsurkunde aus Berlin, die Anerkennung wäre andersherum unendlich kompliziert geworden. Aber außer Boris und Anita weiß das hier im Zentrum des Universums noch niemand.
Meine finnische Frau findet es übrigens auch gar nicht so wichtig.
»Ist ja nur der deutsche Standesamt«, wie sie sagt.
Ach ja, die erfolgreichste Miss Finnland der letzten Jahre heißt übrigens Lola Odusoga (Platz 3 bei der Miss-Universum-Wahl von 1996). Lola ist die Tochter eines Nigerianers und einer Finnin. Mummi hat kürzlich ein Foto von ihr auf den Kühlschrank des Mökki gepinnt.
Genau, mit einem Mohnblumenmagneten von Marimekko.
KYY - DIE SCHLANGE
SORGE
D ie Asche zieht noch immer sanfte Schwaden. Zweiundvierzig deutsche Gäste wissen seit heute Nachmittag, wie Maränen geräuchert werden. Ukki hat es ihnen gezeigt, aber so richtig! Stolz gekleidet in seiner original mittelfinnischen Sommertracht, die meine Mutter spontan und etwas zu laut an das Sandmännchen erinnerte, legte er ein altes Benzinfass mit Fichtenzweigen und Buchenblättern aus, fügte - ganz wichtig! - zwei Zuckerstücke hinzu, schob fünf Pfund Maränen mitten auf den Rost hinzu, dichtete das Fass mit einem selbst geschmiedeten Verschlussmechanismus hermetisch ab und zwängte es zwischen die Backsteine direkt über die Glut an der Feuerstelle.
Die goldbraun geräucherten Kleinstfische kamen hervorragend an. Und auch die original finnischen Wildschweinwürste vom Biobauern aus Paippinen waren ein voller Erfolg. Niemandem schien der Widerspruch aufzufallen. Maukasta , köstlich!
Vor drei Tagen noch brutzelte in diesem ovalen Backsteinring eine über einen Meter lange Kreuzotter,
kyy , die Ukki bei lebendigem Leibe in die Flammen geworfen hatte. Das grelle Fauchen der Kreatur, vor allem aber das lang gezogene Zischen ihres brennenden Körpers bewirkt, dass ihre Artgenossen dieses Mökki für mehrere Jahrzehnte meiden werden. Alte finnische Waldweisheit.
Direkt unter der aitta wurde die Schlange von Ukki aufgestöbert. Die kleine, kaum zwei Meter hohe Holzhütte am See diente früher der ganzen Familie als Schlafstätte. Im Innern steht ein aus Waldholz genageltes Stockbett, das gut die Hälfe des Raumes einnimmt. Mit etwas gutem Willen können sich dort bis zu acht Personen einmuggeln. Links ein kleiner roter Holztisch, darauf eine Leselampe, darunter drei Stapel von Mummis alten Frauen- und Strickmagazinen, rechts neben dem Eingang ein bis zur Decke reichendes Regal aus Spanplatten.
Die quadratische Holztür der aitta , eher eine Luke, gibt am Morgen den Blick auf zwei Uferbirken frei, dahinter der See und ein mächtiger, karg bemooster Fels aus Muttergestein am anderen Ende der Furt.
Die Erde am Tag nach der Schöpfung.
»Bestes Platz der Welt«, strahlt meine finnische Frau jedes Jahr wieder, und ich will mir einbilden, sie meinte damit nicht nur den sagenhaft tiefen Schlaf, der einem zwischen diesen dunklen Pflöcken jede Nacht wieder geschenkt wird.
Irgendetwas hat sie jetzt erspäht. Irgendetwas erspäht sie immer. Sie kann nicht anders. Mit leichtem, federndem
Schritt läuft sie über den von Heidelbeersträuchern gesäumten Wurzelweg von der Sauna hinüber zur aitta .
»Was ist, noch eine Kreuzotter?«
»Nein, Franz hat seines Brille vergessen«, sagt sie und nimmt ein silbernes Nickelgestell vom Holzgeländer.
»Aber ohne Brille ist er doch
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