Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen
iltapäivällä, sowie die Suomi-Dreitagesprognose als schnelle Bildabfolge. Ich folge einem gefetteten, dunkelblauen Pfeil vom Nordpol in den Südosten des Landes, wo wir leben, und in dessen Form die Einheimischen eine tanzende Frau erkennen wollen. Ich sehe Suomi als tiefgekühltes Putenschnitzel mit dunklen Wolken paniert, aus denen in verschiedener Dichte und Intensität Flockensymbole fallen. Ein kleiner Index am rechten oberen Rand der Seite unterrichtet den Leser über die sieben verschiedenen Arten des Schnees, die der Finne zu unterscheiden pflegt. Wesentliche Veränderungen sind auch für die kommenden Tage nicht auszumachen.
Wahre Traurigkeit überkommt mich allerdings erst beim Blick auf die Europakarte rechts unten, Lontoo weist 15 °C, Pariisi 20 °C und das immerrote Malaga ganze 35 °C Differenz auf. Dort gibt es doch auch Austauschstipendien und anmutige Studentinnen, denke ich, während sich meine finnische Frau über einen Artikel im Kulturteil, kulttuuri , amüsiert, mir auf Nachfrage aber mitteilt, den Witz würde ich ohnehin nicht verstehen.
Mein Blick bleibt für einige Minuten auf dem leer gekratzten Familienglas Nutella in der Tischmitte haften. Nutella murmle ich, Nútella, Nútella, das müsste doch auf Finnisch etwas bedeuten. Tut es aber nicht, sagt meine Frau, außer Nutella, und reicht mir den B-Bogen der Sanomat , auf dessen Rücken mich das finnische Fernsehprogramm,
televisio ohjelma , in eine Kindheit ohne Kabelfernsehen zurückversetzt.
Ab elf Uhr wird im ersten von vier Programmen ernsthaft gesendet - Lassie und Bonanza , wie alles hier im Original mit finnischen Untertiteln, immerhin, nachmittags Tierfilme und Naturdokus wie Pihan luonnonvaraiset kasvit , die mir nicht das Gefühl vermitteln, Wesentliches zu verpassen. Der einzige Abendspielfilm, elokuva , wird heute eine finnische Produktion aus dem Jahre 1939 sein, eingerahmt von zwei halbstündigen Nachrichtenformaten, die ihrem staatlichen Informationsauftrag nachkommen - achteinhalb Minuten Berichte über einen Schwelbrand in einer Kugellagerfabrik bei Kuopio oder die Einweihung einer neuen Nachtkita für Schichtarbeiterinnen in Oulu. Den sogenannten ulkomaat (Auslandsnachrichten) wird sich an Position drei aber nur durch abgelesene Sprachbeiträge gewidmet.
Gestern Abend habe ich mir aus purer Verzweiflung eine politische Talkshow angesehen, in der sich Vertreter aus fünf Parteien, die das gesamte politische Spektrum Finnlands bilden, einander in kurzen Sätzen anlächeln. Was kein Wunder ist - schließlich bilden sie alle gemeinsam die Regierungskoalition. Aber auf Yle 2 wäre die Alternative ein im Sommer aufgezeichneter internationaler Akkordeon-Wettbewerb gewesen, von dem ich glaube mich erinnern zu können, meine Schwiegermutter in spe habe ihn damals im Mökki live verfolgt und sogar per SMS ihre Stimme für ein junges finnisches Talent abgegeben.
Bei einem Blick über den Zeitungsrand erkenne ich,
dass die Heidelbeeren in meinen Haferflocken endlich aufgetaut sind und mittlerweile schwarzblaue Schlieren ziehen. Ich denke das Wort »Darmblutungen«, und meine Frau flüstert leise etwas über den Tisch.
»Iss, draußen ist es kalt!«
Ich erinnere mich, immer ein guter Morgenesser gewesen zu sein und nehme Bogen D zur Hand, das eigentliche Schmankerl meiner Lektüre: urheilu (Sport). Nicht die Artikel natürlich, sondern die eng bedruckte Doppelseite mit den Ergebnissen und Tabellen. Ich überspringe die regionalen Langlauf- und Skisprungwettbewerbe und widme mich dem Tennis. Bei einem Challenge-Turnier in Manaus (40 000 US-Dollar) hat Kirsi Lampinen die zweite Runde im Damendoppel erreicht, was dem verantwortlichen Redakteur offensichtlich Anlass genug war, sämtliche Ergebnisse dieser durch und durch relevanzfreien Veranstaltung abzudrucken.
Es ist drollig: Sobald ein Finne irgendwo auf der Welt an irgendeinem Wettkampf teilnimmt, wird das minutiös vermeldet - meistens indem die zehn Erstplatzierten einzeln aufgeführt werden. Sodann folgen die drei lieb gewordenen Auslassungspunkte, und - sagen wir auf Position 34 - erscheint der Name des finnischen Teilnehmers, heute Ville Vahtola beim uimahyppy , was, ich spreche das Wort wie ein Erstklässer Silbe für Silbe nach, Turmspringen bedeuten könnte.
Beim sähly und jääpallo ist man natürlich unangefochten Weltspitze, was wohl auch daran liegt, dass diese Sportarten nur in Finnland ernsthaft ausgeübt werden. Ich frage mich, was man wohl tun muss, um beim
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