Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen
painonnosto
zu gewinnen, ratsastus und ampumaurheilu sagt mir auch nichts, aber ich schäme mich, meine Frau zu fragen, schließlich ist das hier meine Seite, die ich seit zwei Jahren jeden Morgen konzentriert studiere. Ich will nicht, dass sie einen falschen Eindruck von mir gewinnt.
Ein halbseitiges Foto zeigt Hanno Möttölä in Aktion, den derzeit einzigen finnischen Spieler im amerikanischen College-Basketball, darunter all seine Statistiken und Einsatzzeiten. Doch bleibt der Zweifel, wie korrekt diese Zahlen sind, denn wenn ich am Sonntagmorgen die Tabelle der Saksan Bundesliga überprüfe, finde ich jedes Mal mindestens einen schweren sachlichen Fehler. Ich kenne die Ergebnisse bereits seit 18:25 Uhr Ortszeit des Vorabends - mein Vater hat sie mir per Anruf vorgelesen und mich wissen lassen, wie knapp er auch diese Woche wieder nicht bei der Elferwette gewonnen hat. Ich sage ihm, er solle mehr auf mich hören, worauf er vergangene Woche erstmals entgegnete, ich als Finne könne das Geschehen doch gar nicht mehr beurteilen, womit er vollkommen recht hat. In den hiesigen Bars wird nämlich nur englischer, vor allem aber schottischer Ligafußball live übertragen, weil in den schottischen Mannschaften des unteren Tabellendrittels jeweils ein Finne die Abwehrkette oder sogar das defensive Mittelfeld organisiert.
Auch im Cosmic Comic hängt ein Fernseher, ganz hinten, wo es zu den Toiletten geht, doch Franz sieht nie hin, er sei eben »eher Kafka als Beckenbauer« und interessiere sich nicht für diesen »Faschismus in Turnhosen«,
wie er sich ausdrückt. Ja, wenn ihm etwas gründlich missfällt, kann er sehr direkt und für Augenblicke sogar richtig ordinär werden, so wie jetzt, da er sich beim Barmann lautstark über diese vittumaista musiikkia beschwert.
» Rauha , Franz, rauha «, dröhnt Erkki von der Theke.
Mit gefällt das Lied, ein dunkler Elektrosong mit tiefem Bass, dessen Text aus einer einzigen monoton wiederholten Zeile besteht: Mikä se on? Ihminen. Mikä se on? Ihminen . Was das bedeutet?
Franz verzieht das Gesicht, als würde ihm ein Zahn gezogen. Der Sänger der Band ist ein Exfreund seiner jüngeren Schwester, nur ungern wolle er darüber sprechen, aber wörtlich übersetzt laute die Zeile: »Was ist das? Ein Mensch. Was ist das? Ein Mensch.« Das finnische ihminen , erklärt er, leite sich von dem Verb ihmetellä ab, was »sich wundern« oder besser »staunen« bedeute. Auf Finnisch ist der Mensch also das Wesen, das staunen kann.
»Ein schöner Gedanke«, sage ich zu Franz, der - wohl um sich mit Erkki zu versöhnen - nun zwei neue Bier, kaks pitkää! , bestellt und mich fragt, ob ich ihm freundlicherweise zwanzig Finnmark auslegen könne. Mit seinen »finanziellen Mitteln sei es derzeit leider nicht zum Besten bestellt.«
Der grüne Schein zeigt auf der Rückseite ein Schwanenpaar. Franz ahmt auf seinem Stuhl nun mit weit ausgebreiteten Armen das Schwingen der Flügel nach. Die Schwäne, erklärt er, seien auf die Zwanziger gedruckt worden, weil die immer besonders schnell wegflattern.
SCHMERZEN
D rei Stunden und manchen Schwanenflug später will ich es von Franz dann doch einmal ganz genau wissen, wie sich das so anfühlt, ein Finne zu sein - Sohn des statistisch gesehen besten Landes des Erdballs, und weshalb es ausgerechnet hier, am Arsch der Welt, neben vielen anderen Spitzen derzeit das größte Wachstumspotenzial, die geringste Korruption, das innovativste Umfeld, die wenigsten Konkurse, die klügsten Kinder, die saubersten Städte und die erfolgreichsten Frauen gibt. Ich kann es einfach nicht begreifen.
»Es hat mit den zwei großen Schmerzen der menschlichen Existenz zu tun«, sagt Franz, und zwar meine er damit den Schmerz, den jedes menschliche Wesen empfinde, wenn es für sich begreife, nicht das Zentrum des Universums zu sein, sowie den Schmerz, der sich aus der Erkenntnis ergebe, dass unsere Wünsche und Bedürfnisse die Mittel zur Befriedigung dieser Bedürfnisse auf immer und ewig übersteigen werden.
Ob mir dieser Schmerz vertraut vorkomme, fragt Franz ernst.
»Ja, der Schmerz …«, sage ich und sehe aus dem Fenster.
»Gut«, nickt Franz, »sehr gut.« Das sei ein Anfang, schließlich ziele unsere gesamte derzeitige Zivilisation, vor allem aber unsere gesamte westliche Technik ja auf nichts anderes ab, als uns diesen Schmerz vergessen zu machen, uns zu betäuben und uns zu verblenden, was nichts anderes bedeute, als die Bevölkerungen der westlichen Welt
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