Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen
ganz gezielt auf dem geistigen Niveau von Fünfjährigen zu halten - sie zu infantilisieren und durch immer neue Ablenkungsprodukte bei Laune zu halten.
»Fernsehen, Video, Computer, Computerspiele«, feuert Franz sich selbst an.
Ich nicke eifrig. »Klar, klar.«
Das habe natürlich seinen Preis, fährt Franz fort, denn der Konsum dieser Medien führe notwendigerweise zu einer gewissen Vereinsamung der Menschen, führe in die Isolierung - der Fernseher im Reihenhaus in der Vorstadt, erklärt Franz. Und diese soziale Vereinsamung wiederum rufe einen konkreten Sinnlosigkeitsverdacht hervor, den der Einzelne natürlich nur mit weiteren, immer schrilleren und kindischeren Unterhaltungsangeboten betäuben könne.
Franz nimmt nun einen kräftigen Schluck von seiner Morgenmilch und spricht gar von der »Betäubungsspirale des postmodernen Techno-Konsumerismus«, und obwohl ich mir nicht sicher bin, ihm folgen zu können, sage ich: »Klar, Franz, klar.«
Hier nun aber, er richtet den Oberkörper auf und wirkt seltsam nüchtern, kämen die Finnen ins Spiel. Denn wer
in diesem Land geboren werde, sauge die Gewissheit, nicht das Zentrum des Universums zu sein, sozusagen mit der Muttermilch auf, wer in diesem Land geboren werde, der begreife mit als Erstes, dass nur die wenigsten Wünsche, die ein Mensch an seine so genannte Wirklichkeit stellt, jemals in Erfüllung gingen.
»Klar«, sage ich, »klar, und deswegen sind die finnischen Kinder eigentlich Erwachsene.«
»Richtig«, sagt Franz, »wie es unser Dichter Eino Leino in dem schönsten aller finnischen Gedichte ja auch schreibt: O Söhne des Nordens, als Greise erblickt ihr das Licht der Welt . Daraus erklärt sich auch der Hochmut, den man als Finne gerade gegenüber den Schweden, ihrer Sprache und vor allem ihrem Humor notwendigerweise empfinden muss«, sagt Franz. »Für uns sind das Kinder, wir können sie einfach nicht ernst nehmen. Von den Amerikanern ganz zu schweigen.«
»Aber diese Reife bringt auch Schwermut mit sich und Depressionen«, sage ich.
»Nein, nein, nein, wir sind nicht depressiv«, bricht es aus Franz heraus. Er steht auf, breitet die Arme aus. »Wir ergeben uns der Dunkelheit ja nicht, wir suchen nur unseren Platz in ihr!« Und kurz darauf ruft er mit krächzenden Stimme: »Wir sind tragische Realisten!«
» Rauha , Franz, rauha !«, dröhnt es von der Theke.
»Aber was ist mit der Technik?«, fällt mir da ein, »darin sind die Finnen doch derzeit besonders stark, das ist doch ein glatter Widerspruch.«
»Überhaupt nicht!« Franz lächelt wie über einen feinen Witz. »Für uns sind die Vereinsamung und der
Sinnlosigkeitsverdacht ja schließlich nichts Neues, wir hatten über Jahrtausende keine Städte, nicht einmal Dörfer.«
Er fordert mich auf, mir Finnland als Außenseiter einer Schulklasse vorzustellen. »Solche Typen suchen«, erklärt er wie ein Mensch, der weiß, wovon er spricht, »verschiedene Strategien, mit ihrer Rolle umzugehen.«
»Ja«, sage ich, »klar.«
Es könne sein, dass sie sich einigeln und so tun, als ob ihnen die Anerkennung der anderen gar nichts bedeute, das führe dann zu einem Verliererkult, in dem der Loser sich als Loser selbst feiere, auf die ganze Nation übertragen bewirke das natürlich ein besonders enges Gemeinschaftsgefühl innerhalb der Verlierergruppe. Eine andere Strategie des Außenseiters aber sei, sich Nischen zu suchen, die weitab liegen von dem, was die meisten interessiert, und darin besonders gut zu werden.
»Es ist kein Zufall«, gibt Franz zu bedenken, »dass Finnen seit Jahren die globale Luftgitarrenszene dominieren und jedes Jahr wieder die Bird-Watcher-Weltmeisterschaft gewinnen.«
»Gummistiefelweitwurf«, sage ich, »Kampfsaunen, Moorfußball.«
Franz nickt. Aber als dritte Möglichkeit stehe dem Außenseiter natürlich noch der Rückzug in eigene, selbst erschaffene Fantasiewelten offen, zu denen andere keinen Zugang haben oder haben wollen, die Welt der Zahlen, sagt Franz, des Tüftelns oder der Literatur. Und bei all dem spüre der Außenseiter keinen Druck, denn es
erwarte eh niemand etwas, so könne er einfach vor sich hin werkeln und probieren.
Im Geiste sehe ich Ukki in Gummistiefeln an seiner Radioamateurstation herumschrauben, mit Deutsch-, Koreanisch- und Spanischkursen auf den Regalen seines pömpeli . So wurde das Handy erfunden, Linux.
Ob ich wisse, dass die Finnen Weltmarktführer in Sicherheitsschlössern seien, will Franz wissen, und sagt, daraus sei viel zu
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