Finnischer Tango - Roman
ohne Drogen und …« Er redete nicht weiter, als er Eevas entsetztes Gesicht sah.
»Das denkst du? Dass ich schwach geworden bin und wieder etwas genommen habe? Wie kannst du auch nur …«
»Na, diese Geschichte hörte sich ganz genauso an wie jene, die du damals erzählt hast, als du …«
Eeva brach in Tränen aus, und Mikko nahm sie wieder in den Arm, aber diesmal ließ die Angst nicht nach. Wenn man sie wegen Drogenbesitz verurteilte, dann würde diese Umarmung aus ihrem Leben verschwinden genau wie Kirsi.
9
Jussi Ketonen stürzte sich auf das Pizzastück wie eine Möwe auf Fischabfälle. »Endlich mal wieder …« Das Gesicht des Rentners strahlte genussvoll. »Aber morgen bei uns zu Hause will ich kein Wort darüber hören. Wenn das herauskommt, darf ich das ganze nächste Jahr nur Salat essen. Marketta setzt heutzutage, was das Essen angeht, so enge Grenzen, dass es schon beängstigend ist.«
Arto Ratamo warf einen Blick zu seiner Tochter, die an der Stirnseite des Bauerntisches saß und kicherte, und schaute dann besorgt zu, wie der übergewichtige Ketonen die Pizza gierig verschlang. Die Hosenträger spannten sich straff über seinem Bauch, man hätte sie gut als Katapult benutzen können. Der Ex-Chef der SUPO stopfte sich mit einer Hand Pizzastücke in den Mund und hielt sich mit der anderen seinen schmerzenden Rücken.
»Was macht der Bandscheibenvorfall?«, fragte Ratamo.
»Es ist besser …« Ketonens Antwort ging im Schmatzen unter.
»Na prima.«
»Es ist besser, wenn du nicht fragst«, knurrte Ketonen. »Denkst du etwa, ich halte mir den Rücken zum Spaß, es tut verdammt weh.«
Alter Giftzwerg, fluchte Ratamo innerlich und würzte dabei seine Pizza mit Senf, Ketchup, Tabasco, Knoblauchpulver und Oregano.
»Du könntest viel Geld sparen, wenn du die Gewürze direkt aus der Dose essen würdest. Unter diesem Gewürzhaufen schmeckt man ja wohl von der Pizza überhaupt nichts mehr«, spottete Ketonen.
Ratamo überhörte die Bemerkung, er betrachtete eine eingerahmte Ansichtskarte, die an der Wand hing und auf der mit blutroten Buchstaben geschrieben stand: »Erste Chronik 21:27.« Die Karte von einem Psychopathen, der sich selbst Engel des Zorns nannte, hatte er vor anderthalb Jahren auf demselben Stuhl das erste Mal gelesen. Der Gedanke an die Ermittlungen in jenem Fall verdüsterte wie durch einen Zauberspruch seine Stimmung, erinnerte ihn aber zugleich daran, dass es um die Dinge in seinem Leben doch ziemlich gut stand, selbst dann, wenn es anscheinend schlecht lief. Es hing immer davon ab, mit wessen Leben man sein eigenes verglich, überlegte Ratamo, und er musste an Eeva Hallamaa denken, die vor ein paar Minuten angerufen und von den neuen Drohungen des Türken berichtet hatte. Die bereiteten Ratamo ebenso Kopfzerbrechen wie die Tatsache, dass er Eeva die Blutspuren an ihren Händen hatte abwaschen lassen. Die DNA, die man durch das Blut gefunden hätte, wäre wichtiges Beweismaterial gewesen.
»Wie findest du Eeva?« fragte Ratamo in möglichst alltäglichem Ton.
Nelli steckte sich gerade ein Stück Pizza in den Mundund schaute ihren Vater neugierig an. »Wieso? Die ist ganz okay.«
Ratamo stellte fest, dass Nelli klare Augen hatte und eine gesunde Gesichtsfarbe. Das mysteriöse Fieber, unter dem sie längere Zeit gelitten hatte, war wohl doch nur die Folge einer besonders langwierigen Grippe gewesen.
»Benimmt sich Eeva manchmal … merkwürdig? Hat Kirsi irgendetwas Ungewöhnliches erzählt?«, erkundigte sich Ratamo und wünschte sich einmal mehr, er hätte ein besseres Verhältnis zu seiner Tochter. Selbst wenn Nelli von Geheimnissen Eevas etwas wüsste, würde sie die ihm kaum anvertrauen.
»Was stellst du denn für Fragen? Die Eeva macht nichts Merkwürdiges. Echt nett ist sie …«, sagte Nelli. Sie streichelte Musti, die auf dem Boden lag und schniefte, und wich dem starren Blick ihres Vaters aus.
Ratamo erwiderte nichts und schaute seine Tochter nur eindringlich an.
»Na, also vor einem Jahr war sie irgendwie in Behandlung. Und dann hat sie Männerbekanntschaften gehabt, das waren Ausländer; Araber oder so«, sagte Nelli bekümmert.
»Wann … jetzt in letzter Zeit?«, fragte Ratamo interessiert.
»Weiß ich nicht mehr. Über so was reden wir sonst nicht, das war nur irgendwann mal«, murmelte Nelli und verschwand in ihrem Zimmer, Musti folgte ihr auf den Fersen.
Ratamo rief seiner Tochter in betont strengem Ton hinterher, sie solle die Hausaufgaben nicht vergessen.
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