Finnischer Tango - Roman
ganz normaler achtzehnjähriger Chemiestudent gewesen, als er im Dorf Fis am 27. November 1978 an der Gründungsversammlung der Arbeiterpartei Kurdistans teilnahm. Er wurde verhaftet, das Militärgericht befand, er sei Mitglied der PKK, und verurteilte ihn zu zehn Jahren Gefängnis. Nach fünf Jahren Tortur verhalfen ihm die Männer von Apo Öcalan zur Flucht und schickten ihn in das Ausbildungszentrum der PKK, die Mahsum Korkmaz -Akademie, nach Syrien.
Als die Drogensüchtige den »Tip« verließ und den Fußweg betrat, schlug der vor Kälte zitternde Zana den Kragen seines wollenen Mantels hoch und zog den Hut tiefer in die Stirn. Der Morgen war unangenehm frostig. Zana war Kälte gewöhnt, zu Hause in Diyarbakir lag die Durchschnittstemperatur in den Wintermonaten deutlich im Minusbereich, aber hier empfand er sie anders als in Kurdistan. Das lag vermutlich an der kräftigen Brise, die vom Meer herüberwehte, der schneidende Wind ließ auch die Haut steif werden wie eine Schicht aus Wachs.
Die junge Frau verließ den Hakaniemi. Zana überquerte die Straße und fuhr zusammen, als er im Fenster eines Büros im Erdgeschoss die schwarzen und weißen Flecken in seinem Gesicht erblickte. Es sah aus wie ein Schachbrett: Auf den Narben wuchs kein Bart, und die von der Kälte betäubte Haut sah ganz weiß aus. Warum hatte er sich nicht rasiert, so ein Gesicht würde niemand vergessen.
Er hielt einen sicheren Abstand zu der Frau, denn ein breitschultriger Mann, der aussah wie ein Ausländer und jemanden beschattete, fiel leicht auf. Beim Gehen wurde ihm etwas wärmer. Eine derartige Kälte, die einem bis ins Mark kroch, hatte er das letzte Mal erlebt, als er sich in der Gebirgshöhle in der Nähe von Hasankeyf das Gesicht und die Zehen erfroren hatte. Er mochte Helsinki nicht, durch diese vereisten Straßen ging er nur, weil es Adil al-Moteiribefohlen hatte und weil er auf dessen Versprechen vertraute, der PKK bei der Schaffung eines unabhängigen Kurdistans zu helfen. Und weil er sich so an den Türken rächen durfte.
Die Drogensüchtige blieb an der Kreuzung von Toinen linja und Castreninkatu stehen, schaute sich unruhig um und bog dann nach rechts ab. Zana beschleunigte sein Tempo und fürchtete schon, die Frau könnte doch zum Fixen in irgendeine Privatwohnung gehen. Als er die Kreuzung erreichte, sah er niemanden mehr, sein Opfer war verschwunden. Er überquerte die Straße, zerrte an der abgeschlossenen Haustür und kehrte auf den Fußweg zurück. Die Drogenabhängige war nicht zu sehen. Beruhige dich, sie kann sich nicht in Luft aufgelöst haben, sagte sich Zana und betrachtete die Umgebung genau, Meter für Meter, bis er seinen Blick auf einen Bretterschuppen heftete, der auf dem Hof des Nachbarhauses stand.
Er ging über die Einfahrt in den Innenhof, näherte sich vorsichtig dem Müllschuppen, blieb an der Wand stehen und spähte durch den Spalt zwischen den Brettern. Zana seufzte erleichtert: Die junge Frau holte gerade aus ihrer abgegriffenen schwarzen Schultertasche das Zubehör heraus und legte es mit zitternden Händen nebeneinander auf den eisigen Beton. Dann zog sie ihren Parka aus, krempelte den linken Ärmel ihres Pullovers bis zum Oberarm hoch und wickelte zum Abbinden ein dickes Gummiband oberhalb der Armbeuge um den Arm.
Die Fixerin gab das Heroin auf einen Löffel und sprühte auf das Pulver Zitronensäure aus einer kleinen Plastikflasche. Sie erwärmte den Löffel mit dem Feuerzeug und rührte den Stoff mit einem Streichholz um. Schließlich ließ sie einen Zigarettenfilter auf den Löffel fallen, nahm die Injektionsspritze, leckte die Nadel ab und zog die Blasen bildende Flüssigkeit durch den Filter in die Spritze.
Nun spannte sie das Gummiband und hielt ein Ende mit den Zähnen fest. Sie klopfte mit dem Finger auf die dicke Vene in ihrer Armbeuge, bis sie deutlich hervortrat wie ein dunkelblauer Wurm, dann drang die Nadel langsam in die Vene, und die Spritze wurde geleert. Die Frau ächzte deutlich hörbar und sackte zusammen, es schien so, als wären wirklich alle Muskeln ihres Körpers gleichzeitig erschlafft.
Zana betrat den Raum für die Müllcontainer und schaute verächtlich auf die Spritze, die in der Ellbogenbeuge der auf dem Boden liegenden Frau zitterte, er sah ihren abwesenden Blick und ihr seliges Lächeln. Das würde ihr gleich vergehen. Jeder Feind ist ein Türke, auch diese Frau.
»Es muss wie eine normale Überdosis aussehen«, sagte er.
»So ist es, mein Bruder,
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