Finnischer Tango - Roman
sich, fröhlich zu klingen, während sie von der Laivurinkatu auf die Tehtaankatu einbogen, aber Kirsi lief mit gesenktem Kopf neben ihr.
»Worüber habt ihr heute Nacht gestritten, du und Mikko? Ich hab gehört, wie du geweint hast«, sagte Kirsi einen Augenblick später vorsichtig.
Eeva überlegte, was sie antworten sollte, sie wollte nicht lügen, konnte aber auch nicht über die Drohungen des Türken,die ihr durch den Kopf gingen, und die Drogen reden. »Wir haben ein paar Probleme, die es zwischen Erwachsenen gibt. Manchmal ist das Leben ein bisschen wie eine Zwiebel: Man schält sie und nimmt eine Schicht nach der anderen ab und weint zwischendurch.«
»Na, dann sagst du’s eben nicht«, erwiderte Kirsi verärgert. »Ich hab nur Angst, dass auch Mikko verschwinden wird. Das ist der beste Typ, den du je gehabt hast.«
Das fürchte ich auch, hätte Eeva am liebsten gesagt. »Wir sind doch auch zu zweit immer gut zurechtgekommen, oder?«
»Ich gehe jetzt das letzte Stück allein«, rief Kirsi ihrer Mutter zu, winkte und rannte los. Eeva schaute ihrer Tochter hinterher und überlegte, wann jemand die Zeit im Schnelldurchlauf um Jahre vorgespult hatte: Plötzlich war Kirsi schon ein elfjähriges junges Mädchen. Sie wusste, dass sie ihre Tochter allzu sehr beschützte, es gab wohl kaum andere Eltern, die ihr Kind in der fünften Klasse jeden Morgen in die Schule begleiteten. Kirsi mochte dieses Morgenritual schon lange nicht mehr. Eeva nahm an, dass sie ihre Tochter deswegen so behütete, weil sie Kirsi verzweifelt vor all dem Schlimmen bewahren wollte, das sie selbst hatte erleben müssen.
Der eisige Wind fuhr ihr in die Augen, sie brannten ohnehin schon vom Weinen. Fast die ganze Nacht hatten sie und Mikko sich unterhalten und auch gestritten. Sie wusste nicht, was sie betroffener machte: dass Ratamo Mikko von dem Amphetamin in ihrer Wohnung erzählt hatte oder dass Mikko tatsächlich ausziehen wollte. Das Schlimmste war, dass beide Männer nur das getan hatten, was sie tun mussten: Ratamo war vermutlich gezwungen gewesen, zu versuchen, aus Mikko herauszubekommen, wie das Amphetamin in die Wohnung gelangt war. Und Mikko beabsichtigte, sie zu verlassen, weil er glaubte, dass sie wieder den Drogen verfallenwar. Sie hatten gemeinsam vereinbart, dass ihre Beziehung zu Ende wäre, wenn Eeva schwach würde. Dennoch ärgerte das Eeva: Ratamo hätte genausogut seinen Mund halten können, und Mikko hätte ihr eine Stütze sein müssen. In guten wie in schlechten Zeiten, dachte sie.
Als Eeva an der Treppe vorbeiging, die vom Fußweg zum Schulhof führte, wäre sie am liebsten hinaufgestiegen, um den Kindern eine Weile zuzuschauen, verzichtete dann aber doch darauf, weil das Kirsi peinlich gewesen wäre. Sie dachte daran, wie aufgeschlossen und fröhlich Kirsi im Umgang mit ihren Freundinnen war, und das erste Mal seit langem spielte um ihren Mund ein Lächeln. Zum Glück hatte das Mädchen ihr verschlossenes Wesen nicht geerbt, sondern ähnelte mehr dem sehr geselligen Mikko, obwohl der gar nicht Kirsis Vater war.
Hatte Mikko tatsächlich vor, sie zu verlassen, oder drohte er ihr nur deshalb auszuziehen, weil sie es so vereinbart hatten? Sollte sie ihn bitten, zu bleiben, war es das, worauf er wartete? Eeva erkannte, dass sie hoffte, Mikko würde seine Entscheidung zurücknehmen, wenn sie sich mittags im Restaurant »Ahven« treffen würden. Sie hatte jetzt schon Sehnsucht nach ihm.
Sie bog nach Norden ab, in die Kapteeninkatu, und atmete die frische kalte Luft tief ein. Dieser Morgenspaziergang war zu einer Gewohnheit geworden, die sie genoss. Manchmal kam auch Mikko mit. Erst liefen sie alle drei zu Kirsis Schule, dann begleitete sie Mikko bis zum Fotoatelier und ging dann zur Straßenbahnhaltestelle auf dem Bulevardi. Sie bemühte sich, ihren Tag in Ruhe zu beginnen, weil die Psychotherapeutin behauptete, das helfe, den Stress unter Kontrolle zu halten. Zum Glück hatte sie für den heutigen Tag einen zusätzlichen Termin bekommen; um diese Situation zu überstehen, brauchte sie handfeste Ratschläge.
Das Haus an der Ecke von Vuorimiehenkatu und Korkeavuorenkatu ließ sie an Ratamo denken. Arto hatte gesagt, dass wegen der im Badezimmer gefundenen Menge Amphetamin wohl kaum Anklage erhoben werden würde. »Kaum« schien das unsicherste Wort der Welt zu sein. Wenn man doch Anklage erhob und sie verurteilte, dann würde sie das Sorgerecht für Kirsi verlieren. Danach bliebe sie garantiert nicht clean.
Der
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