Finnischer Tango - Roman
Halstuch, das am Rand seines Schreibtisches lag, und roch daran wie ein brünstiger Hund. Vielleicht steckte Renata doch hinter dem Erpressungsplan. Vielleicht hatte sie ihn um den kleinen Finger gewickelt, um die Gelegenheit zu bekommen, ihm sein Geld abzugaunern.
27
Melissa Tufton rannte zum Thames House, dem gewaltigen Hauptgebäude des britischen Sicherheitsdienstes MI 5. Das Nordufer der Themse lag hinter ihr, als sie ihr Tempo verlangsamte und von der Millbank Street zu den Glastüren am Ende des über zehn Meter hohen Bogengewölbes ging. Der Geruch des Dieselöls der Flußschiffe hing in der Luft.Melissa ächzte und legte die Hand auf ihren Bauch, als sich das Kleine bewegte. Im sechsten Monat spürte man die Tritte schon richtig.
Das war das Schlimmste im MI 5, die Ungewissheit. Irgendetwas Wichtiges war geschehen, das ahnte Melissa. Die Fahrt nach Cheltenham ins Government Communication Headquarter hatte sie gestern mit ihrem Vorgesetzten abgesprochen, aber jetzt hatte er sie angerufen und vom Bahnhof Paddington zurück ins Thames House beordert. Hatte es einen Terroranschlag in Großbritannien gegeben, oder war er in letzter Sekunde verhindert worden, oder hatte jemand von einem geplanten Anschlag Wind bekommen? Wegen irgendeiner Kleinigkeit hätte man ihre Reise kaum abgesagt.
Melissa betrat das Foyer des unter dem Namen The Box bekannten Thames House und winkte den Wachposten zu. Am Ende des Foyers zog sie ihre Schlüsselkarte durch das Lesegerät und betrat den kleinen Raum für die Sicherheitskontrolle, wo sie gescannt wurde. Dann öffnete sich die Tür, und vor ihr lag eine Welt des getönten Glases und des glänzenden Stahls. Sie ging zu den Aufzügen.
Das musste mit Umar Hussain und Takfir wal Hijra zusammenhängen, überlegte Melissa und drückte dabei den Knopf der fünften Etage. Takfir war das wichtigste Objekt ihrer Untersuchungen, und man wusste, dass die Organisation einen Anschlag in Nordeuropa plante. Sie hatte die richtige Ahnung gehabt, als sie bei der Suche nach einem geeigneten Mittel, um in ihrer Laufbahn als Analytikerin den Durchbruch zu schaffen, auf Takfir gesetzt hatte. Aber warum sollte sie den Chef des Joint Terrorism and Analysis Centre treffen, das JTAC war doch nur für die Ermittlungen in den allerwichtigsten Fällen zuständig? In dem nach den Anschlägen vom 11. September gegründeten Kooperationsorgan hatte man die besten Experten Großbritanniens aufdem Gebiet des internationalen Terrorismus zusammengefasst.
Der Aufzug hielt an, Melissa betrat den Vorraum der fünften Etage und klingelte; an dieser Glastür funktionierte ihre Schlüsselkarte nicht. Wie aus dem Nichts tauchte vor der Tür ein junger Mann in dunklem Anzug auf, der die Tür öffnete, lächelte und ihr bedeutete hineinzugehen. Melissa war noch gar nicht dazugekommen, ihm zu sagen, zu wem sie wollte, da führte er sie schon zielstrebig den Flur entlang. Sie blieben vor der Tür des Eckzimmers stehen, eine Sekretärin drückte lustlos einen Knopf an ihrem Schreibtisch, ein Summer ertönte kurz, und Melissa wurde die Tür geöffnet.
»George Langdon«, ein kleiner, freundlich lächelnder Mann stellte sich vor, reichte ihr die Hand und zeigte auf einen von zwei Ledersesseln vor dem riesigen Schreibtisch.
»Ich komme gleich zur Sache. Von Ihrem Vorgesetzten habe ich die Erlaubnis erhalten, Sie auszuleihen, weil Sie mehr über Umar Hussain und Takfir wal Hijra und vor allem über die Informationsquelle, die sich ›Taube‹ nennt, wissen als jeder andere.«
Melissa nickte, wagte aber nicht zu fragen, was geschehen war.
»Diesmal hat ›die Taube‹ die Antiterror-Hotline der Polizei angerufen.«
»Und welche?« Melissa bereute sofort, dass sie Langdon unterbrochen hatte. Dann ärgerte sie sich, dass sie es bereute. Sie war einfach zu schüchtern.
»Die 0800 789 321«, antwortete Langdon.
Melissa schien zufrieden zu sein. »›Die Taube‹ hinterlässt nie eine Nachricht zweimal auf die gleiche Weise.«
»Die Verbindung war schlecht, deswegen habe ich die Nachricht ins Reine schreiben lassen.«
Langdon reichte Melissa ein Blatt und musterte die junge Analytikerin.
»›Takfir wal Hijra hat einer von dem Petersburger Wassili Arbamow geführten Organisation tausend Kilo afghanisches Heroin verkauft.‹« Melissa las, so schnell sie konnte. »›Sie beabsichtigen, den europäischen Markt mit billigem Heroin zu sättigen, die Zahl der Abhängigen zu erhöhen, dann die Preise drastisch zu erhöhen und
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