Finnischer Tango - Roman
braucht er nichts zu zahlen«, schrie Riitta, um den Lärm zu übertönen.
»Die können ja auch nicht spielen.« Ratamo versuchte vergeblich, den Titel zu erkennen: Der Gitarrist spielte ein schnelles Solo und kreischte gleichzeitig unverständliches Zeug in einer entfernt an Englisch erinnernden Sprache ins Mikrofon, der Drummer schlug einen besonders langsamen Takt wie bei einem alten Foxtrott, und der Bassist trank heimlich aus einem Flachmann. Der Lärm war ohrenbetäubend.
Riitta beugte sich zu Ratamo hin, sie roch nach Cidre. »Hier ist schon alles Mögliche passiert. Saara Lukkari und Sotamaa haben etwas miteinander, und Palosuo und Liimatta sind zusammen verschwunden, kaum dass sie gekommen waren.«
»Wen interessiert das.« Ratamo schob sich noch einen Priem unter die Lippe.
»Ich habe übrigens im Büro, kurz bevor ich gegangen bin, gehört, dass der MI 5 einen Anschlag von Takfir wal Hijra in Großbritannien für so gut wie sicher hält.«
Ratamo zog die Augenbrauen hoch und beugte sich näher zu Riitta hin, um besser zu hören.
»Ein großer Anschlag. Und zwar in diesen Tagen.«
Ratamo war im Begriff, noch eine Frage an Riitta zu formulieren, da schnappte sich Mikko Piirala das Mikrofon, in das sein Sohn gerade fast gebissen hätte, und klopfte darauf. Die Musik brach ab und der Krach legte sich.
»Ich wollte dieses Jahr einen richtigen Profi für einen Auftritt engagieren, weil man euch sonst nicht dazu bewegenkann, mal etwas Begeisterung zu zeigen. Darf ich vorstellen – Ismo Turpeinen, Fakir und Fesselkönig, Mitglied der Internationalen Vereinigung der noch lebenden Schwertschlucker SSAI, das heißt der Sword Swallowers Association International«, verkündete Piirala voller Enthusiasmus wie ein Sprecher im Boxring.
»Turpeinen ist der einzige Mensch auf der Welt, der sich aus einer Zwangsjacke befreit hat, über die eine Jacke zum Transport von Gefangenen gezogen war«, sagte Piirala zum Schluss seiner Ansprache, nach der niemand klatschte.
»Der hätte lieber eingewickelt bleiben sollen«, stellte Ratamo fest, als er verdutzt zuschaute, wie ein eins sechzig großer, stark übergewichtiger Opa mit glänzender Glatze auf die Bühne schwankte. Der Mann war so blau wie ein Veilchen, der würde sich nicht einmal aus einer Windjacke befreien können. Diesmal hatte sich Piirala tatsächlich selbst untertroffen, und noch tiefer würde er ohne Erdarbeiten nicht kommen.
Turpeinen schwankte, wälzte sich auf dem Boden und stürzte schlapp hin und her, während er mit seiner Zwangsjacke kämpfte, bis er bei einer Drehung von der Bühne fiel und auf dem Fußboden liegenblieb. Ratamo hatte von der Show genug, als Wredes Sekretärin anfing, den Mann wiederzubeleben. Ein Fakir und Fesselkünstler, genau.
Er nahm sich am Büfett ein paar Würstchen und stieg die Treppe wieder hinauf. Die Verwirrung, die Turpeinens niederschmetternder Auftritt hinterlassen hatte, wurde noch größer, als er im Foyer auf einen zwei Meter großen krakeelenden Bodybuilder traf, auf dessen schwarzem T-Shirt mit vor Blut triefenden Hakenkreuzen geschrieben stand: »FINSKINS«. Der Muskelprotz, der nur etwas kleiner als ein Feuerwehrauto war, hielt seine Arme so weit vom Körper entfernt, dass Ratamo vermutete, der Junge könnte Pickel in den Achseln haben. Er musste lächeln.
»Wer immer ein Lächeln um die Lippen hat, der spuckt schnell mal einen Zahn aus«, dröhnte der Schrank.
Zum Glück für Ratamo richtete das Hormonmonster seine Aufmerksamkeit plötzlich auf Lindström und Wrede, die nur ein paar Meter entfernt standen und sich in Schwedisch über irgendetwas stritten.
»Ist der nun der oder die«, sagte das Muskelpaket und zeigte mit seinem schwankenden Finger auf den schmächtigen und langhaarigen Lindström.
Ein Skinhead, der sich mit Wortspielen beschäftigte! Jetzt hatte er wirklich alles gesehen, sagte sich Ratamo und wollte schon weitergehen, als Wrede sich zu ihm hinbeugte und ihm etwas ins Ohr flüsterte.
»Wir reden morgen über Palosuo und Liimatta. Ich habe ein Gerücht gehört, ein schweres Kaliber, denen wird bald das Wasser bis zum Halse stehen. Und darüber werden wir nicht weinen«, erklärte Wrede ihm mit vom Schnaps verstärkter Stimme und kehrte zu Lindström zurück.
Die Zeit verging schnell. Ratamo wanderte durch das »Ostrobotnia« und blieb dann und wann stehen, entweder, um sein Glas aufzufüllen, oder um ein paar Worte mit einem bekannten Kollegen zu wechseln. Er machte sogar einen
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