Finnischer Tango - Roman
setzen, seine Wunden salben, ihm bei der Flucht helfen …
Veikko Saaris Augenlider öffneten sich, und er sah den eiskalten Blick Renatas, die einen Elektroschocker in der Hand hatte. Sie befanden sich immer noch auf dem Schiff, er saß immer noch auf dem Metallstuhl, und irgendwo redete jemand russisch. Die Zeiger der Tischuhr aus Marmor verrieten, dass es kurz vor halb vier morgens war. Die Freude verdrängte den Schmerz und die Angst für einen Augenblick: Er hatte es geschafft, heute war der 6. Dezember, der Unabhängigkeitstag.
Er konnte sich nicht bewegen, obwohl er es versuchte. Jeder Muskel und jeder Knochen schmerzte, er würde das nicht mehr lange durchstehen. Wie viele Elektroschocks hatte er schon bekommen, zwölf oder zwanzig? Er war beim Zählen bereits vor langer Zeit durcheinandergeraten. Sie hatten ihn die ganze Nacht gefoltert. Abgesehen von einigen Ohnmachtsanfällen, war er stolz auf sich, er hattemehr Schmerzen ertragen, als er für möglich gehalten hatte. Vielleicht reichte es schon.
Die Bruchstücke seines Bewusstseins verbanden sich langsam wieder zu einem Ganzen, und er bemerkte, dass der Schmerz seine Form änderte: Er verteilte sich nun gleichmäßig auf den Rücken, das Gesäß und die Unterseiten der Oberschenkel. Der Stuhl war heiß. Es dauerte einen Augenblick, bis ihm einfiel, was jemand am Anfang der Folter gesagt hatte: Der Metallstuhl erhitzte sich auf zweihundertvierzig Grad. Die Panik fasste schon nach ihm.
Wassili Arbamow hatte genug von den Fußballseiten im Videotext und schaltete den Fernseher aus. »Wenn du in einen Sturm gerätst, dann bete zu Gott, höre aber nicht auf zu rudern«, sagte er zu Saari. »Es sieht so aus, als wollten Sie sich nicht selbst helfen. Ihnen ist vermutlich klar, dass jede neue Stufe der Folter brutaler und schmerzhafter ist als die vorherige.«
Die richtige Replik fiel Saari erst ein, nachdem er eine Weile überlegt hatte. »Ich rede sofort, wenn Sie garantieren, dass ich Petersburg lebend verlassen kann.«
Arbamow schüttelte den Kopf. »Es ist absolut sicher, dass Ihr Widerstand schon bald gebrochen wird. Wir beherrschen diese Kunstgattung perfekt, man wird Sie nicht sterben lassen, bevor Sie reden. Das Endergebnis kennen wir schon: Sie reden und sterben, der variable Faktor ist, wie viel Schmerz sie vorher erleben wollen.«
Saari spürte, wie sich der Metallstuhl unter ihm weiter erhitzte. Das würde er nicht mehr ertragen, Brandwunden würde er nicht aushalten … Er hatte schon genug gelitten. Sein Entschluss stand fest, als ihm klar wurde, dass er den Russen vielleicht mit seiner Geschichte nicht mehr überzeugen konnte, wenn er in einem allzu schlechten Zustand wäre.
»Turan Zana«, sagte Saari und sorgte dafür, dass alle in dem Raum schwiegen. »Turan Zana erpresst Sie. DerselbeKurde von der PKK, der das Heroin von Afghanistan nach Petersburg geschmuggelt hat.«
Renata schlug Saari mit der flachen Hand ins Gesicht, dass es klatschte. »Lüg nicht. Turan Zana kennt nicht alle Namen unserer Männer, er hat die Ware nur in einige Länder geliefert.«
Saari versuchte Arbamows Gesichtsausdruck zu erkennen, glaubte er ihm? Ihn musste er überzeugen, er traf die Entscheidungen. In seinem Blickfeld zitterte alles, es dauerte eine Weile, bis er alle Einzelheiten erkennen konnte. Er glaubte, in Arbamows Miene Unschlüssigkeit zu sehen. Seine Geschichte brauchte mehr Wirkung, mehr Glaubwürdigkeit. Mehr Schadenfreude, mehr Aggressivität …
»Ich weiß nicht, woher Turan Zana die Namen Ihrer Dealer hat«, sagte Saari und schaute Arbamow dabei an. »Vielleicht hat er die PKK damit beauftragt, sie hat überall in Europa fanatische Anhänger. Und Zana hat wochenlang Zeit gehabt, sich vorzubereiten. Das ist ja wohl auch Ihnen klar, dass niemand anders als Zana oder Umar in der Lage wäre, Ihre Männer in Helsinki umbringen zu lassen und überall in Europa Todesfälle durch eine Überdosis zu organisieren.«
Der Elektroschocker knisterte, als Renata die Spannung einschaltete. »Soll ich weitermachen?«, fragte sie, aber Arbamow verneinte mit einer Geste.
Saari sah, dass Arbamows Interesse geweckt war, jetzt musste er nachlegen, und das Adrenalin, das in sein Blut strömte, verlieh ihm Kraft. »Warum sollte Umar Sie erpressen, wenn er durch den Verkauf seines Heroins an Sie mehr Geld verdient? Turan Zana hingegen erhielt für seine Arbeit als Maultier nur ein Schmerzensgeld, und auch das musste er bei der PKK abrechnen. Sie haben Ihre
Weitere Kostenlose Bücher