Finnisches Blut
Vielleicht hätte er dann genug Zeit, sich genauer mit den Dingen zu beschäftigen«, erwiderte Vairiala und strahlte. Nach dem katastrophalen Anfang wurde das Treffen für ihn allmählich zu einem Erfolg.
Vairiala hatte den Köder geschluckt. Jetzt war es an der Zeit, das Gespräch zu beenden. Aus Erfahrung wußte Siren, daß die Leistungsbereitschaft eines Untergebenen besser war, wenn er irgend etwas anstrebte, was er nicht für sicher, aber für eindeutig erreichbar halten konnte. Er hütete sich, seine Zufriedenheit zu zeigen, und stand einen Augenblick da, ohne eine Miene zu verziehen. Dann sagte er, es sei am besten, wenn Vairiala einen seiner Männer beauftragte, die Briefe an die Kaufkandidaten nach London zu bringen. Er wolle, daß ein Mann bei dem ganzen Projekt die Fäden in der Hand hielt – Vairiala.
Siren zeigte auf drei Kuverts, die auf seinem Schreibtisch lagen. Auf jedem war eine Londoner Adresse angegeben. Er sagte, laut Ketonen befände sich unter jeder dieser Adressen ein Verbindungsbüro, das rund um die Uhr besetzt sei. Daß er beim Berühren der Briefe und Kuverts Handschuhe benutzt |178| hatte, erwähnte er nicht. »Diese Briefe müssen unverzüglich überbracht werden«, sagte er zum Schluß und schaute Vairiala so an wie ein Vorgesetzter, der einen Befehl erteilt. Eine Hand zeigte noch auf die Briefe, und die andere reichte er Vairiala schon zum Abschied. Da die Zeit knapp war, hatte er das Wichtigste bis zuletzt aufgehoben. So würde es in Vairiala noch nachwirken.
Vairiala strahlte vor Zufriedenheit. »Jawoll«, sagte er resolut und drückte Sirens ausgestreckte Hand männlich. Dabei überlegte er schon, ob er Leppäs und Parolas Einsatz abbrechen oder den Generalstabschef anrufen sollte.
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Siren ließ den Hörer auf das Telefon fallen. Eben hatte er Risto Parola angerufen und ihn gebeten, über Vairialas Maßnahmen zu berichten. Parola hatte eine Schwäche für Hochprozentiges, aber als Oberhaupt einer Großfamilie mit fünf Kindern konnte er es sich nur selten leisten, in besseren Gaststätten zu sitzen. Siren wiederum sponserte gern jene wenigen Offiziere des Nachrichtendienstes, die noch bereit waren, mit ihm gemeinsam zu trinken. Er wußte, daß Parola Vairiala nicht mochte, und hatte deshalb gewagt, ihn um diesen ungewöhnlichen Gefallen zu bitten.
Siren holte die Dose mit dem Diapam aus der Tasche seiner Uniformjacke. Er wunderte sich, warum die Pillen nicht wirkten. Die Bedrängnis nahm ihm wieder den Atem.
Für die Briefe war der ganze Donnerstagvormittag draufgegangen. Am Morgen hatte er von Ketonen eine sehr genaue und umfassende Liste der aktiven Käufer auf dem internationalen Waffenmarkt erhalten. Darin wurde auch erwähnt, ob sie an biologischen Waffen interessiert waren. Er hatte drei Kandidaten ausgewählt, die man alle in London erreichen könnte. Alle verfügten laut Ketonens Bericht über jede Menge Geld, und alle hatten schon früher große Waffengeschäfte abgeschlossen und weder die Verkäufer verraten noch bei der Bezahlung betrogen. Die ausgewählten Kaufkandidaten waren die fanatisch-islamistische Terrororganisation Jihad, die Neue |180| Befreiungsfront Tschetscheniens und die LTTE, die Guerilla-Organisation der Tamilen.
Die Organisation Jihad, die steinreichen arabischen Spendern nahestand, besaß nach Sirens Kenntnis ein Motiv und die Fähigkeit, sich die Viruswaffe zu beschaffen. Er wußte auch, daß die Tschetschenen Geldgeber hatten, die mit allen Mitteln die Unabhängigkeitsbestrebungen der Region unterstützten. Sobald der Staat unabhängig wäre, würden sich die Finanziers auf seine umfangreichen Bodenschätze stürzen. Die Tschetschenen hatten das brennende Verlangen, sich an Rußland wegen dessen Brutalität in den Kriegen der neunziger Jahre zu rächen. Die verlorenen Kriege bestärkten die Tschetschenen nur in ihrem Wunsch, sich zu befreien und einen unabhängigen Staat zu gründen, ohne erst noch auf eine möglicherweise flexiblere Haltung von Mütterchen Rußland irgendwann in der Zukunft zu warten. Jetzt stand ihnen nur noch der Weg des Terrorismus offen. Nach Ketonens Hintergrundbericht war die Errichtung eines islamischen Imanats im Kaukasus seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts versucht worden, als der legendäre Freiheitskämpfer Imam Shamil die Bergstämme von Tschetschenien und Dagestan zu einer leistungsfähigen Guerilla-Armee vereinte. Damals brauchte das russische Imperium ein Vierteljahrhundert, um die zähen
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