Finnisches Blut
Worte des Freundes schmerzten irgendwo tief drinnen in Siren. Für einen Augenblick fürchtete er schon, daß die Bedrängnis den Chemikalienpanzer durchbrechen würde. »Na, mal sehen. Die Arbeit muß jedenfalls gemacht werden«, sagte er leise und fuhr dann eindringlich fort: »Und, Matti, du redest doch mit niemandem über diese Sache. Wenn möglicherweise irgend jemand Fragen stellt, dann sag, daß du später auf die Sache zurückkommen wirst, und ruf mich an. Können wir so verbleiben?«
»Aber natürlich«, versicherte Pekkanen, und sie verabschiedeten sich voneinander.
Das soeben beendete Gespräch sollte das letzte sein, das Siren mit Pekkanen führte. Er hatte seinen einzigen Freund betrogen. Seine Ehre kann man nur einmal verlieren, hatte Carl von Clausewitz gesagt. Das erste Mal vertrat Siren eine andere Meinung als der größte Militärtheoretiker der Geschichte. Jetzt hatte er niemanden mehr. Außer vielleicht Siiri. Die Mixtur, die seine Bedrängnis betäubte, mußte verstärkt werden.
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Es war Freitagnacht kurz vor halb zwei, Ketonen wurde allmählich müde. Nach Wredes letzter Kontaktaufnahme hatte er schon weit über eine Stunde in seinem Zimmer gewartet. Er nahm ein Stück von der Pizza, die auf seinem Tisch duftete, aber bereits kalt geworden war, und ließ die Hosenträger auf seinen Bauch knallen.
Das laute Schrillen des Telefons, das einem das Blut in den Adern gefrieren ließ, unterbrach sein lustloses Kauen. Die Zentrale teilte mit, daß der »Küchenmessermann« aus London anrief.
Ketonen legte den Rest des feuchten, zähen dreieckigen Pizzastücks wieder in den Pappkarton und schloß seine Zimmertür, bevor Musti auf den Flur laufen konnte. Er stieg die Treppe zur Zentrale hinunter und nahm ungeduldig den Hörer, ohne sich erst hinzusetzen. »Sind die Briefe übergeben worden?«
»Ja. An die Adressen, die ich dir beim letzten Mal vorgelesen habe. Mir scheint, daß wir ein verdammt großes Problem haben«, antwortete Wrede. Und das hoffte er auch von ganzem Herzen, weil er es war, der sich um das Problem kümmern würde, und weil es seine Fahrkarte zum Ruhm war. »Du hast mir das Wort aus dem Mund genommen. Die Jungs haben herausgefunden, daß es sich um die Adressen von Büros der Tamilen-Tiger, des Jihad und einer tschetschenischen Guerilla-Organisation handelt.«
|256| »Oh, oh. Ziemlich harte Burschen«, sagte Wrede.
»Und du bist sicher, daß Rautio keine Röhrchen mit Ebola-Blut hat.«
»Ja.«
Ketonens Blick wanderte einen Augenblick über das Meer von Hunderten LED-Leuchten in dem mit Elektronik vollgestopften Raum. Dann befahl er Wrede, Rautio überallhin zu folgen. Falls Rautio nach Finnland zurückkehrte, sollte Wrede ein Ticket für denselben Flug kaufen. Wenn er gesehen hatte, daß Rautio in die Maschine eingestiegen war, sollte er in sein Hotel zurückkehren und auf weitere Anweisungen warten. Ketonen würde jemanden auf den Flughafen Seutula schicken, der Rautio in Helsinki übernahm. Wrede sollte alles, was passierte, der Zentrale melden. Er mußte auch jemanden beauftragen, die Internetadresse zu überwachen, unter der die Angebote eingehen würden. Ketonen gab seine Befehle mit ruhiger und sicherer Stimme.
»Weshalb soll ich in London bleiben? Hier gibt es doch niemanden zu überwachen, wenn Rautio nach Finnland zurückfliegt?« erwiderte Wrede verärgert. Er fürchtete, daß er in London nur Zaungast des Geschehens sein würde, gerade wenn es richtig losging.
Ketonen war als Aufklärer erfahren genug, um zu wissen, was Wrede grämte. »Immer mit der Ruhe. Der letzte Akt dieses Schauspiels wird vielleicht in London aufgeführt. Wenn Rautio nun mal keine Blutröhrchen mithat und Vairiala in Finnland ist, dann muß irgend jemand das Ebola-Blut dorthin bringen und einen Rucksack voll Bargeld abholen. Diese Person kann gut der Drahtzieher der ganzen Operation, der Erzteufel, sein. Rautio ist nur ein Laufbursche.«
Die Überlegungen Ketonens erschienen Wrede, kaum daß er |257| sie gehört hatte, logisch und selbstverständlich. Nun kam er sich wie ein dummer Anfänger vor, der von einem alten Hasen belehrt wurde. Er bestätigte, daß er die Anweisungen verstanden hatte, und ging in Richtung Drogeriemarkt, um sich Haarfarbe zu kaufen. Seine flache Mütze zog gefährlich viele Blicke auf sich.
In seinem Zimmer wurde Ketonen freudig von Musti begrüßt. Er setzte sich hin, legte die Füße auf den Schreibtisch, schaute an die Decke und öffnete den obersten
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