Finnisches Inferno: Kriminalroman (Arto Ratamo ermittelt) (German Edition)
Authentifizierungssystem von Inferno, zu knacken. Man könne das mit einer Wohnungstür vergleichen, die zusätzlich ein Sicherheitsschloss besaß. Die Tür ging nur auf, wenn das normale Schloss und das Sicherheitsschloss geöffnet wurden. Wer Charon überwinden wolle, brauche zwei Passwörter beziehungsweise Schlüssel: Den allgemein bekannten öffentlichen Schlüssel und den geheimen Schlüssel des Kunden. Anna-Kaisa Holm nickte mit ernster Miene, als Tommila von Zertifikaten, Normen und PKI redete.
Riitta Kuurma unterbrach ihn: »Kann man den geheimen Schlüssel durch längeres Probieren herausfinden?«, sagte sie und fürchtete sogleich, eine dumme Frage gestellt zu haben.
Tommila sah so aus, als hätte er an uralter Milch gerochen, deshalb beugte sich Holm zu Kuurma hin und flüsterte ihr wie einem Kind im Vorschulalter zu: »Die Zahl der möglichen Schlüssel ist unfassbar groß. Leicht gerundet hat sie nach den Ziffern Drei und Vier siebenunddreißig Nullen.«
Das war noch schlimmer als der Dialekt ihres Onkels. Riitta verstand von dem, was sie hörte, genauso viel wie vom Fusionjazz. Sie warf das Handtuch und überließ Anna-Kaisa das weitere Verhör. Die Dokumente von Protaschenko steckte sie in ihre Handtasche.
Die beiden EDV-Profis unterhielten sich angeregt eine ganze Weile. Als Anna-Kaisa Holm schließlich verkündete, sie sei fertig, begleitete Tommila seine Gäste bis ins Foyer, und Riitta Kuurma sagte, man werde auf die Sache zurückkommen.
Der Frost zwickte durch den Mantel und den Blazer, obwohl die Sonne am Himmel strahlte. Sie holte aus der Manteltasche ihr dunkelblaues Lieblingstuch und band es sich um den Kopf. Kälte war ihr lieber als Matschwetter, dennoch hofftesie, dass der strenge Frost nun endlich nachließ. Anna-Kaisa hustete trocken und suchte etwas in ihrer Handtasche.
Im Auto rief Riitta Kuurma die Überwachungszentrale an und ließ sich mit Ketonen verbinden. Sie berichtete alles von ihrem Besuch, was sie am Telefon zu sagen wagte. Ketonen schwieg lange, als sie zum Schluss sagte, Arto Ratamos bester Freund sei einer der drei Verdächtigen und die vietnamesischen Notizen würden nicht von DataNorth stammen.
Ketonen bat die beiden Frauen zu drei Uhr in den Beratungsraum.
Riitta Kuurma freute sich. Endlich würde sie Arto Ratamo wiedersehen.
7
»Na, wie gefällt’s dir?« Nelli drehte sich vor ihrem Vater wie ein Mannequin auf dem Laufsteg.
Ratamo versuchte zu lächeln, obwohl das von Nelli vorgeführte Kleid furchtbar aussah. Die Träger waren dünn wie Bindfäden und unten endete es oberhalb des Knies. Bei dem Teil dachte man eher an Unterwäsche und nicht an eine Beerdigung. Ratamo wusste nicht, was er sagen sollte. Hatte die Verkäuferin denn nicht verstanden, für welchen Anlass sie ein Kleid kaufen wollten?
»Trägt man bei Begräbnissen heutzutage so etwas?«, fragte er die freundliche Verkäuferin in der Kinderabteilung von H&M und schaute sie flehend an. Zu seiner Erleichterung brach die junge Frau in schallendes Gelächter aus. »Dann probieren wir als Nächstes mal etwas Herkömmliches«, versprach sie.
In dem Geschäft war es so heiß, dass Ratamo seinen schwarzen Wintermantel auszog. Ein Teenager rempelte ihn an, als siezu dem Ständer mit den Blusen eilte, die im Angebot waren. Ratamo hasste Warenhäuser. In dem Gedränge fühlte er sich genauso wohl wie in einem überfüllten Bus an einem heißen Tag. Freiwillig betrat er beide nie. Er schaute sich um und sah Dutzende Menschen, die über die Wühltische herfielen, als ginge es um ihr Leben. Anscheinend befürchteten sie, dass es auf der Welt bald nichts mehr zu kaufen geben würde. Der Konsum war in den westlichen Ländern zum neuen vorherrschenden Glauben geworden.
Für Ratamo war es immer noch ungewohnt, in den Kinderabteilungen von Bekleidungsgeschäften herumzustehen. Als er Witwer geworden war, hatte er sich gar nicht vorstellen können, wie anspruchsvoll die Aufgabe des alleinerziehenden Vaters eines kleinen Mädchens sein würde. Eine vollkommen neue Welt hatte sich vor ihm aufgetan, als er sich eingehend mit Details im Leben von Mädchen beschäftigen musste, von denen Jungs oder Männer nichts wussten. Er war stolz darauf, dass Nelli ihn als Ersatz für ihre Mutter angenommen hatte. Am wichtigsten war jedoch, dass seine Tochter den Tod Kaisas ziemlich gut überwunden hatte. Die Ermordung der Mutter und die Entführung hätten das Mädchen psychisch zerstören können, aber nach Ansicht der
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