Finnisches Inferno: Kriminalroman (Arto Ratamo ermittelt) (German Edition)
ermordet, Nelli entführt, und er war auf der Flucht vor Killern wie ein Schwachsinniger durch ganz Helsinki gehetzt.
Für den, der nicht weiß, was er tut, ist alles möglich, überlegte Ratamo und ging mit Nelli in Richtung Bonbongeschäft im Bahnhofstunnel.
Jussi Ketonen legte in seinem Arbeitszimmer das Telefon auf, lockerte den Knoten seiner schmalen Krawatte und wunderte sich, warum immer noch zwei rote Lämpchen blinkten. In der vorhergehenden Woche hatte er ein neues, digitales Ericsson bekommen, das aussah wie eine Telefonzentrale.
Arto Ratamo ging ihm durch den Kopf. Von dem Mann erwartete er viel. Mit einer von ihm selbst besorgten Sondergenehmigung hatte Ratamo die Ausbildung an der Polizeischule, die normalerweise mehr als zwei Jahre dauerte, nach einem Jahr erfolgreich abgeschlossen. Anfang Januar hatte Ketonen viel Arbeit investiert und zusammen mit der Polizeifachhochschule in Otaniemi einen für Ratamo maßgeschneiderten Studienplan aufgestellt, der zum Examen für den gehobenen Polizeidienst führen sollte. Den größten Teil der Ausbildung durfte Ratamo zu Hause absolvieren. Diese Regelung brachte auch Ketonen selbst einen Nutzen. Da Ratamo nicht ständig an die Schulbank gebunden war, konnte man ihn trotz seines Studiums flexibel einsetzen und an die praktischen Aufgaben der SUPOheranführen. Schon bei seinem sechsmonatigen Praktikum während der Ausbildung an der Polizeischule hatte Ratamo etliche Observierungs- und Überwachungsaufträge gut gemeistert. In der Schreibtischarbeit war der gelernte Wissenschaftler eine Klasse für sich, aber Ketonen wollte ihn nicht mit Büroroutine eindecken. Vom Sitzen im stillen Kämmerlein war Ratamo schließlich schon an seinem vorherigen Arbeitsplatz in der Nationalen Forschungsanstalt für Veterinärmedizin und Lebensmittelprüfung frustriert gewesen.
Ketonen konnte nicht sagen, warum er sich wegen Ratamo so viel Mühe machte. Vielleicht behandelte er als kinderloser Witwer von über sechzig seinen jungen Mitarbeiter so, wie er einen eigenen Sohn behandelt hätte. Er gestand sich ein, dass er Ratamo beneidete, weil der bewusst sein Leben umgestaltet und damit gezeigt hatte, dass der alte Spruch »Einen Menschen kann man nicht ändern« Unfug war. Seiner Ansicht nach beruhte jede wesentliche Entwicklung in der Welt gerade darauf, dass sich ein Individuum zusammenriss und die Richtung seines Lebens änderte. Ratamos Beispiel hatte auch ihn, einen alten Hasen, dazu gebracht, sich einiges abzugewöhnen.
Draußen herrschten über fünfzehn Grad minus, und Ketonen fror, obwohl die Fenster aus Spezialglas bestanden und die Heizkörper glühten. Die Wände des 1888 errichteten Hauses strahlten Kälte aus. Es ärgerte ihn, dass er vom Bauamt immer noch keine Genehmigung bekommen hatte, den prächtigen Kachelofen in der Ecke seines Arbeitszimmers zu benutzen.
Musti lag in ihrem Korb und beobachtete aufmerksam, wie ihr Herrchen den Computer anschaltete. Als er sich erhob, um die Totozeitung vom Kaffeetisch zu holen, glänzten Mustis Augen, sie glaubte, jetzt würde gespielt, und sprang blitzschnell auf.
Ketonen war jedoch nicht zum Spielen aufgelegt. Er versuchteMusti mit einem Schokoladenkeks zu beruhigen, und wollte gerade selbst einen essen, doch da packte ihn die Gier nach einer Zigarette, und er steckte sich rasch einen Nikotinkaugummi in den Mund. Überrascht bemerkte er an Mustis Flanke ein paar graue Haare. Auch seine alte Freundin trat nun in den Club der vitalen Grauhaarigen ein. Nach dem Tod seiner Frau vor Jahren war Ketonen gezwungen gewesen, Musti mit ins Büro zu nehmen. Er kannte niemanden, der den Hund ausgeführt hätte, während er oft rund um die Uhr arbeitete. Die SUPO-Mitarbeiter hatten sich schnell an den vierbeinigen Gast gewöhnt, und im Laufe der Jahre war Musti zum Maskottchen der Behörde geworden.
Die Ereignisse vom Montag in Miami gingen Ketonen durch den Kopf. Seit längerem ermittelten sie wieder einmal in einem Spionagefall, der so bedeutend war, dass er die Untersuchungen selbst leiten wollte. In der Regel musste er sich auf die Aufgaben als Chef der gesamten Behörde und auf ihre internationalen Beziehungen konzentrieren, obwohl ihm die Schreibtischarbeit zuwider war. Es überraschte ihn nicht im Geringsten, dass es Industriespionage war, bei der man Protaschenko in flagranti erwischt hatte. Aber für wen könnte er gearbeitet haben? Es gab viele Möglichkeiten: Die wissenschaftlich-technische und Wirtschaftsspionage war
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