Finnisches Inferno: Kriminalroman (Arto Ratamo ermittelt) (German Edition)
Holm fortzufahren. Anna-Kaisa sah blass und müde aus. In der Regel merkte man ihr an, dass sie ihre Arbeit gerne tat und um perfekte Ergebnisse bemüht war. Doch jetzt schien sie nur noch ein Schatten ihrer selbst zu sein. Das war ihr erster großer Fall als Abteilungschefin. Sie würde doch nicht etwa unter dem Druck zusammenbrechen, fragte sich Ketonen besorgt.
Anna-Kaisa Holm trank einen Schluck Mineralwasser und berichtete dann über Simo Tommila von DataNorth. Sein Vorleben wich erheblich vom Durchschnitt ab. Das junge Genie hatte das Gymnasium mit Sechzehn abgeschlossen und die Technische Hochschule mit neunzehn. Mit dreiundzwanzig hatte er am MIT seine Dissertation verteidigt. Im letzten Jahr war er zum Ehrendoktor der Universität Stanford ernannt worden, und er hatte das H-1B-Visum für die USA, das IT-Fachleuten gewährt wurde. Er war eines der meistgeschätzten Computergenies der Welt. An der Entwicklung des Betriebssystems Linux hatte er einen großen Anteil. Tommila war ledig, besaß einen Jaguar XK8 Coupé und ein Haus in Kaivopuisto und lebte sehr asketisch. Er schien für nichts anderesGeld auszugeben als für Fachbücher. Bei seinem Vermögen hätte er Schafe mit Geldscheinen füttern können: Im letzten Jahr hatte er Optionen im Wert von dreiundzwanzig Millionen Finnmark eingelöst. Russisch konnte Tommila nicht, aber bei der Doktorandenausbildung hatten zu seiner Gruppe auch zwei vietnamesische Kollegen gehört. Es gab jedoch keine Hinweise darauf, dass er sich mit ihnen angefreundet hätte. Tommila war der einzige, der Inferno durch und durch kannte, das vor allem sprach für seine Schuld. Der junge Mann war der Koordinator gewesen, als die Teile des Programms zu einem Ganzen verschmolzen wurden. Zum Schluss las Anna-Kaisa Holm noch eine ganze Menge einzelner Informationen über Tommila vor. Ihr zitterten die Beine, ließ die Wirkung der Beta-Blocker etwa schon nach?
»Die Reichen werden immer reicher und die Armen dünner«, sagte Wrede gerade mit saurer Miene, da klopfte es an der Tür.
Ein junger Polizist teilte mit, Pauliina Laitakari sei eingetroffen. Ketonen bat seine Mitarbeiter, Holms Zusammenfassung über die Frau zu lesen, und dann wurde die Verdächtige hereingebeten. Sie trug über dem Arm einen teuren halblangen Pelzmantel und war deutlich größer als Ketonen. Die Polizisten gaben ihr die Hand, und alle setzten sich hin, um auf die beiden anderen Inferno-Verantwortlichen zu warten. Pauliina Laitakari fuhr sich nervös durch ihr kurzgeschnittenes Haar, als sie hörte, dass auch Tommila gleich eintreffen würde.
Ketonen hatte absichtlich den schmucklosen unterirdischen Verhörraum gewählt, damit den Computergenies klar wurde, dass es um schwerwiegende Verbrechen ging. Noch wirkungsvoller wäre es gewesen, sie in ihrer Firma abzuholen, aber das erschien Ketonen dann doch zu gewagt. Korpivaara hatte verlangt, die Arbeit von DataNorth möglichst wenig zu beeinträchtigen. Die Ermittlungen sollten geheim bleiben, damit dieBörsenkurse nicht außer Rand und Band gerieten. Analysten reagierten schneller auf Gerüchte als die Abendzeitungen.
Simo Tommila und Timo Aalto betraten zusammen den Verhörraum. Verdutzt betrachteten sie die blanken Betonwände, und Tommila ächzte deutlich hörbar, als er Laitakari erblickte. Er versuchte gar nicht erst, seine feindselige Haltung zu verbergen und gab ihr nicht die Hand.
Die Inferno-Verantwortlichen nahmen an dem langen laminierten Tisch den SUPO-Mitarbeitern gegenüber Platz. Ketonen wiegte sich auf den Fersen wie ein Grundschuldirektor, strich sich die grauen Haare aus der Stirn und zog den Bauch ein.
»Einer von Ihnen hat sich eines schweren Diebstahls schuldig gemacht. Wir wollen klären, wer und warum. Und wir wollen auch erfahren, was Sie von dem Russen Gennadi Protaschenko wissen, der in Miami ermordet wurde.« Ketonen beobachtete die Reaktionen der Computerzauberer. Aalto wirkte nervös. Seine Sachen sahen zerknittert und die blonden Haare ungekämmt aus.
Tommila starrte Ketonen mit ausdrucksloser Miene an. »Ich habe im Internet gelesen, dass Sie Jurist sind. Wussten Sie, dass der Begriff ›Daumenregel‹ von einem alten englischen Gesetz hergeleitet ist, nach dem ein Mann seine Frau nicht mit einem Gegenstand schlagen darf, der breiter ist als sein Daumen?«
Erst nahm Ketonen an, Tommila mache nur einen Spaß. Dann hatte er den Verdacht, dass der junge Mann ihn auf die Schippe nehmen wollte. Doch Tommilas ernste Miene ließ ihn
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