Finnisches Inferno: Kriminalroman (Arto Ratamo ermittelt) (German Edition)
denken können, es schneite waagerecht. Riitta Kuurma bestellte sich ein Taxi: Sie wollte nicht pitschnass im Restaurant erscheinen.
Der Kellner in traditioneller russischer Tracht führte sie in den gemütlichen kleinen separaten Raum des Restaurants, woRatamo schon wartete. Er sah irgendwie jünger aus als vor zwei Jahren. Sein Äußeres gefiel Riitta Kuurma seit ihrer ersten Begegnung. Am Tag zuvor hatte sie Ratamo das erste Mal mit gekämmtem Haar und ohne Bartstoppeln gesehen. Jetzt ähnelte er eher einem italienischen Schlagersänger als einem baskischen Terroristen. Die Atmosphäre war verkrampft. Es herrschte Schweigen, keinem von beiden fiel etwas ein, bis der Kellner die Speise- und Weinkarte brachte, und Riitta Kuurma sagte, sie hoffe, dass sich außer Fisch und Fleisch auch noch etwas anderes auf der Karte fand.
Ratamo war überrascht: »Ich wusste gar nicht, dass du Vegetarierin bist.«
»Es gibt viele Dinge, die du von mir nicht weißt. Ich konnte damals nicht sehr offen und ehrlich sein. Du wirst wohl auch kaum wissen, dass meine Mutter Italienerin ist.« Es stellte sich heraus, dass Riitta Kuurmas Mutter Ende der sechziger Jahre aus der Campania zum Studium an die Sibelius-Akademie nach Helsinki gekommen war, einen Finnen geheiratet hatte und für immer geblieben war.
Ratamo hoffte, dass man ihm nicht ansah, wie verwirrt er war. Er hatte nicht die geringste Ahnung gehabt, dass Riitta Halbitalienerin war.
»Bist du katholisch? Drehst du deswegen immer diese Perlen zwischen den Fingern?«
»Die Perlenkette ist der alte
Rosario
meiner Großmutter, ihr Rosenkranz. Er hat für mich einen großen emotionalen Wert.« Riitta Kuurma erzählte, ihre Mutter stamme aus Amalfi in Süditalien, wo der Glaube immer noch einen Teil des Alltags der Menschen bestimmte. Auch sie sei katholisch erzogen worden, obwohl ihre Mutter alles andere als religiös war.
Der Kellner kam und erkundigte sich nach ihren Wünschen. Ratamo sagte, er sei leider noch nicht dazu gekommen, einenWein auszusuchen. Ihm ging durch den Kopf, was für eine bemerkenswerte Gemütsruhe Riitta ausstrahlte. Und dass sie katholisch war. Sie schien ganz mit sich im Reinen zu sein.
Ratamo pflegte nicht lang und breit Glaubensdinge zu erörtern. Gleichwohl war ihm klar, dass er sich nicht selbst geschaffen hatte. Und er glaubte auch nicht, dass Hunderte Millionen Menschen im Laufe der Geschichte systematisch gelogen hatten, wenn es um ihre religiösen Erfahrungen ging. Auch er vertraute auf irgendetwas, wusste aber nicht, worauf. Doch er wollte Riitta nicht von seinem Seelenleben erzählen, sondern beschloss, sich in die Weinkarte zu vertiefen. Er wog die verschiedenen Alternativen entnervend lange ab. Auf der Liste stand kein einziger Bourgogne-Wein, also entschied er sich schließlich für den chilenischen Viña Tarapaca Gran Reserva. Als sie bestellt hatten, senkte sich wieder Schweigen über den Tisch.
Es war ein gutes Zeichen, dass der Mann einen Wein für hundertachtzig Finnmark bestellte, überlegte Riitta Kuurma. Vielleicht wollte auch er sich mit ihr aussprechen.
Er fragte, was sie studiert hatte, und Riitta antwortete, sie sei immer noch an der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät immatrikuliert. Aber die Arbeit bei der SUPO habe ihre Zeit so in Anspruch genommen, dass sie ihr Examen wohl nie schaffen würde.
Ratamo erzählte von Nelli. Am Vortag sei das Mädchen über Nacht bei seiner Großmutter gewesen und heute passe die Großmutter bei ihnen auf Nelli auf. Zu allem Überfluss lief ihr die Nase wie die Niagarafälle. Ratamo klagte gerade, er habe Gewissensbisse, da brachte der Kellner den Wein und die Vorspeise – eine Julienne mit Pilzen und Schwarzbrot.
Riitta Kuurma wünschte guten Appetit, biss in das getoastete Brot und kam zur Sache. »Schon anderthalb Jahre langwürde ich mich gern für das, was damals geschehen ist, entschuldigen. Für das, was Nelli zugestoßen ist, dürfte ich in gewisser Weise verantwortlich sein. Ich hätte mich unter den Bedingungen nicht auf ein Verhältnis mit dir einlassen dürfen. Vermutlich habe ich dabei zumindest gelernt, dass man einem Menschen entweder ganz oder gar nicht vertrauen sollte«, sagte sie offen und ehrlich.
»Der Nachteil einer Erfahrung besteht darin, dass man sie erst später nutzen kann und nicht, wenn man sie gebraucht hätte«, entgegnete Ratamo und bereute seine Worte sofort. Er hatte nicht die Absicht gehabt, so unfreundlich zu antworten. Es ärgerte ihn, dass er
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