Finnisches Inferno: Kriminalroman (Arto Ratamo ermittelt) (German Edition)
Kauen ging ihm schon auf die Nerven, und die Kiefermuskeln taten auch langsam weh.
»Was zum Teufel ist eigentlich passiert?«, fragte Ketonen streng.
Wrede berichtete, was er wusste. Die Familie, die im Keller von Tommilas Haus betäubt worden war, hatte man befragt. Sie und Ratamo gingen im Moment gerade die Archivbilder von Kriminellen und Spionen durch. Der Fahrer des Doubles von Tommilas Jaguar war gefunden worden. Der fünfundzwanzigjährige arbeitslose Musiker Esko Järvelä hatte von einem Unbekannten fünftausend Finnmark erhalten. Dafür sollte er Kleidungsstücke anziehen, die man ihm gab, und zweiStunden lang mit dem Wagen durch die Stadt fahren. Der Startbefehl war Järvelä über Kurzwellenradio erteilt worden. Die Ermittler hatten den Jaguar gestoppt, als ihnen klar wurde, dass er ziellos durch die Stadt fuhr. Der Musiker war nicht vorbestraft, er dürfte am Nachmittag ebenfalls die Archivbilder durchgehen.
»Wer hat sich den Flegel geschnappt, die Russen oder die Chinesen?«, fragte Ketonen in forderndem Ton.
»Ich weiß es nicht.« Wrede hörte sich niedergeschlagen an. Guoanbu nutze bei der Inferno-Operation Helfer von außerhalb, und Swerdlowsk zu überwachen sei so schwierig wie Eis trinken, erklärte er und verteilte gleichzeitig ein Arbeitspapier über die kriminelle Organisation an seine Kollegen. Wrede sagte, er wisse nicht, wer bei den Russen der Verantwortliche für die Operation Inferno sei, falls es die überhaupt gab. Swerdlowsk habe, soweit bekannt, in Finnland keinen einzigen ständigen Helfer, mit Ausnahme von Zuhältern und Drogenhändlern, die schon überwacht würden. Die Organisation sei nach außen so abgeschottet, dass sich seiner Ansicht nach alle wichtigen Informationen in Moskau befänden, wo man sie mit den Mitteln der SUPO nicht beschaffen könne.
Erleichtert stellte Wrede fest, dass Ketonen konzentriert zuhörte. Er beschloss, nicht zu erwähnen, dass man den Penner, der auf die Karosserie des Lada erbrochen hatte, nicht auftreiben konnte. Der Säufer war sicher auch ein Gehilfe der Entführer. Er berichtete weiter, dass hinter dem gestrigen Entführungsversuch oder der Entführung am Vormittag kein Agent der chinesischen Botschaft in China steckte, da sei er ganz sicher. Keiner von ihnen war aus der Box ausgebrochen.
Ketonen fragte nun schon etwas ruhiger, was über den Unfall vom Vortag bekannt sei. Er beruhigte sich genauso schnell, wie er in Wut geriet.
Wrede räusperte sich und sagte, bei dem Aufprall sei der estnische Bürger Erki Kolk umgekommen. Der Mann habe in Finnland Aufträge ausschließlich für Guoanbu ausgeführt. Und nach den Telefondaten hatte er während des letzten halben Jahres engen Kontakt zu Protaschenko gehalten.
»Die ›Swerdlowsk‹-Mafia und Guoanbu versuchen also beide gleichzeitig, Tommila zu kidnappen?«, dachte Ketonen laut nach.
Die anderen Insassen des Unfallautos konnten fliehen, fuhr Wrede fort. Die Krankenhäuser hätten nichts von verdächtigen oder ausländischen Verletzten mitgeteilt, aber die Verkehrsüberwachungskamera in der Unterführung hatte den Unfall gefilmt. Vom Fahrer des zerschmetterten Autos gebe es ein besonders gutes Bild. Die Leute in dem anderen Auto, das Tommilas Taxi gefolgt war, hatten ihr Gesicht verdeckt. Die Ergebnisse der kriminaltechnischen Untersuchungen wurden gerade analysiert und die Visa für Russen überprüft. Wrede glaubte jedoch nicht, dass die Leute von Swerdlowsk so dumm waren und ein Visum beantragten. Seiner Ansicht nach waren sie aus einem EU-Land oder illegal über die Grenze nach Finnland gekommen.
Ketonen musterte seinen Stellvertreter. Wrede beherrschte zwar sein Handwerk, aber ihm fehlte etwas, was man brauchte, um so ein Knäuel zu entwirren – der Instinkt. Plötzlich fiel ihm ein, dass er die Eltern Tommilas über die Entführung ihres Sohnes informieren musste. Er dachte an sein Gespräch mit der Mutter von Anna-Kaisa Holm und wurde sofort wieder nervös.
»Ist Timo Aaltos Alibi bestätigt worden?«, fragte Ketonen.
»Aalto hat gelogen. Er war zum Zeitpunkt des Mordes an Protaschenko nicht mit seinem Kollegen Ryan Draper zusammen«, erwiderte Wrede prompt und genoss für einen Augenblickdie erstaunten Gesichter seines Publikums. Dann berichtete er, dass Draper schon am Sonntagabend von Miami in Richtung kanadische Einöde aufgebrochen sei, lange vor Protaschenkos Tod.
»Himoaalto hat auch ein Motiv«, ergänzte Riitta Kuurma voller Eifer. Es dauerte eine Weile, bis ihr klar
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