Finnisches Inferno: Kriminalroman (Arto Ratamo ermittelt) (German Edition)
seinen Gedanken auf. »La Guardia«, rief der Fahrer mit starkem Akzent und klopfte auf den Taxameter. Murray griff nach seinem Portemonnaie. In Kürze war es Zeit für einen zweiten Hinweis.
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Am Samstagabend Viertel nach sieben öffnete Irina das Fenster ihrer Wohnung und sah, wie der Asphalt der Lauttasaarentie im Licht der Straßenlaternen glitzerte. Sie musste lüften. Nach Tangs Anruf hatte sie drei Samokrutka geraucht und konnte die Wendung im Fall Inferno immer noch nicht glauben: Man servierte ihr auf dem silbernen Tablett die Möglichkeit, an etliche Millionen zu kommen!
Die Luft war eisig. Irina zitterte vor Kälte und schloss das Fenster. Der Rauch war verschwunden, aber den Duft der Machorka hatte sie immer noch in der Nase, und das war angenehm. Der Geruch in den Kleidern und den Haaren erinnerte sie an die Kommunalka, die karge Gemeinschaftswohnung in einem Plattenbauviertel Leningrads. Während ihrer ganzen Kindheit hatte die vierköpfige Familie in einem Zimmer gewohnt. Die Küche wurde von vier Familien genutzt, die Klos von allen, und heißes Wasser aus der Leitung gab es in dem sechzehnstöckigen Haus nicht. Die Klosetts und Flure stanken wie ein Heringstrawler, und es wimmelte von Schaben und Ratten, so groß wie Igel. Der Gestank war derart grauenhaft, dass ihr der Geruch der Machorka vorgekommen war wie der Duft eines teuren Pariser Parfüms.
Eben hatte Tang ihr erzählt, er habe aus Peking den Befehl erhalten, alle Maßnahmen im Zusammenhang mit dem geplanten Raub in der National Bank einzustellen. Tangs Vorgesetzter hatte getobt: Die Volksrepublik China sei durch den Tod Protaschenkos mit dem Inferno-Datendiebstahl in Verbindung gebracht worden, und in Finnland wisse man, dass der bei dem Autounfall ums Leben gekommene Este für Guoanbu gearbeitet hatte. China könne es sich nicht leisten, bei einer Industriespionageoperation erwischt zu werden, deren Ziel essei, eine amerikanische Bank auszurauben. Der Handel mit den USA sei eine existentiell wichtige Voraussetzung für das Wirtschaftswachstum Chinas, und die Weltbank und der Internationale Währungsfonds, die unter US-Einfluss standen, könnten ihre Kreditpolitik gegenüber China ändern. Industriespionage sei zwar die Hauptaufgabe von Guoanbu, aber man dürfe sich dabei nicht erwischen lassen. Jedenfalls nicht auf frischer Tat. Und auch die SUPO sei jetzt auf der Hut, denn man hatte versucht, eine ihrer Ermittlerinnen zu ermorden, und ein finnischer Bürger war gekidnappt worden.
In Peking hatte man sich jedoch schon einen geschickten Schachzug ausgedacht, der einen Ausweg aus der schwierigen Situation wies. China würde einen wertvollen Propagandasieg erringen, wenn der Eindruck entstünde, dass es der Sicherheitspolizei und den Amerikanern die Zusammenhänge im Fall Inferno verriet.
Tang hatte präzise Befehle erhalten: Er sollte der SUPO die Information zuspielen, dass Swerdlowsk die Inferno-Daten gestohlen, die National Bank ins Visier genommen und Tommila entführt hatte und dass Igor Sterligow die Verantwortung für die Operation trug. Zum Glück für Irina hatte Tang gerade sie mit dieser Aufgabe betraut. Und ihr damit die Schlüssel zur Schatztruhe überreicht.
Irina sprühte sich »Miracle« an den Hals und die Handgelenke. Als sie von den Befehlen aus Peking erfuhr, hatte sie kurz erwogen, Sterligow zu erpressen. Sie hätte ihm drohen können, der SUPO das Ziel des Raubes mitzuteilen, wenn er ihr das Passwort nicht gab. Doch den Gedanken hatte sie schnell wieder fallengelassen. Sterligow von Angesicht zu Angesicht herauszufordern wäre Selbstmord gewesen.
Wenn sie an das Passwort käme, würde sie es zusammen mit den Kundennummern und Kontendaten der größten Kundender National Bank für drei Millionen Dollar an den Arbeitgeber ihres Bruders verkaufen. Andrej hatte ihr mitgeteilt, dass ihre Preisforderung akzeptiert worden sei. Die Computerspezialisten der Petersburger Organisation trafen schon ihre Vorbereitungen.
Tang würde ihren Betrug mit seinem Leben bezahlen. Sie hatte Konten mit gefälschten Vollmachten eröffnet und als einzigen Verfügungsberechtigten Tang angegeben. Nach dem Raub würde sie Geld auf diese Konten überweisen, Guoanbu mitteilen, dass sie Tang des Betrugs verdächtigte, und andeuten, er habe die Inferno-Daten verkauft. Sie würde bestreiten, jemals von Tang den Befehl erhalten zu haben, der SUPO Informationen über den Raub zuzuspielen. Die Beweise würden Tangs Unschuldsbeteuerungen
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