Finnisches Quartett
Wirklichkeit eingewoben hat. Er glaubt, sie sei ein neuer Bote, jemand, der göttliche Offenbarungen überbringt. Berger hat diese Rolle von O’Donnells Schwester Mary Cash geerbt. Wenn es so ist, dann gehorcht O’Donnell Berger zumindest bis zu einem bestimmten Punkt, aber nur so lange, wie die dominierende Persönlichkeit Ezrael ist und nicht Eamon. In dieser Hinsicht bin ich jedoch auf das angewiesen, was Ulrike Berger berichtet. O’Donnell hat in den letzten Tagen keine … Aufzeichnungen gemacht«, dozierte Bruijn.
»Welche Hölle gebiert ein solches Ungeheuer?« sagte Katje de Groot und schnaufte.
Auch dieser Kommentar gefiel Bruijn nicht. »Über achtzig Prozent der in Gefängnissen sitzenden Mörder wurden als Kind mißhandelt. Und bei über der Hälfte der Mörder ist die Nervenfunktion im Stirnlappen des Gehirns schwächer als bei … gesunden Menschen. Wir erforschen unablässig, warum die Hemmungen und Einschränkungen, die in der Regel die Menschen kontrollieren, im Gehirn eines Psychopathen nicht funktionieren. Ein Psychopath denkt nicht einmal, daß es falsch ist, zu morden«, erklärte der Psychologe in einem rechtfertigenden Tonfall.
»Niemand ist gezwungen, Löcher in die Schädel lebender Menschen zu bohren oder seine Opfer zu verstümmelnoder aufzuessen«, erwiderte de Groot erregt. »Versuchen Sie aus Bestien Opfer zu machen?«
Bruijns Blick wurde härter. »Das versuche ich nicht. Ich habe nur Tatsachen dargestellt. Es ist übrigens interessant, daß Sie die Wörter ›Bestie‹ und ›Opfer‹ verwendet haben. Diese Wörter verwendet auch Eamon O’Donnell.«
Ratamo bemerkte, daß dieses Gespräch in einen Streit auszuarten drohte. Er überlegte, inwieweit Eamon O’Donnell wohl seine eigene Lage verstand, und so rutschte ihm die Frage heraus: »Weiß O’Donnell, daß er böse … oder anormal ist?«
Das erste Mal schien Bruijn das ganze Gespräch satt zu haben. »Sie spielen mit Wörtern. ›Normal‹, ›anormal‹, ›gut‹ und ›böse‹ sind Begriffe, die auf einer Übereinkunft der Mehrheit der Gesellschaft beruhen. Auf diese Frage müssen Sie bei Philosophen eine Antwort suchen, ich untersuche Kranke und versuche sowohl ihnen als auch Ihnen – uns allen zu helfen.«
Timmerman krempelte die Ärmel seines Hemds hoch, es sah so aus, als wollte er an die Arbeit gehen. »Wie können wir diesen … Patienten fassen, bevor er wieder mordet?«
Bruijns Gesichtsausdruck wurde noch düsterer. »Sie müssen versuchen, O’Donnells Denken zu beeinflussen und über diesen Weg auch sein Verhalten. Ich glaube allerdings nicht, daß jemand anders als Ulrike Berger einfach so fähig ist, Zugang zu der Welt von O’Donnell zu finden«, erwiderte er mürrisch.
Ein Klopfen an der Tür schnitt wie ein Messer durch den Raum der operativen Zentrale. »Gute Neuigkeiten«, sagte der holländische Ermittler, obwohl er niedergeschlagen aussah. »Es wurden endlich Fotos von Eamon O’Donnell gefunden. Mit deren Hilfe hat man den Mann sowohl in Schiphol als auch auf dem Dulles-Flughafen in Washington erkannt. Die schlechte Nachricht ist, daß er schon durchdie Einreisekontrolle hindurchgekommen ist. O’Donnell läuft frei in Washington herum.«
Timmerman entfuhr ein Fluch. »Was zum Teufel macht er dort?«
»Hat Ulrike Berger nicht erwähnt, daß auf der Liste der zu ermordenden Physiker jemand von der University of California steht«, erinnerte sich Ratamo laut. »Vielleicht ist Washington nur eine Zwischenetappe.«
Bruijn schlug mit der Faust auf den Tisch. »Sie wollten konkrete Ratschläge, hier ist einer: Bitten Sie Ulrike Berger, bei der Suche nach Eamon O’Donnell zu helfen.«
Timmerman dachte einen Augenblick darüber nach und fragte dann Katje de Groot: »Hast du herausbekommen, warum Berger Kontakt zu John Dexter hatte?«
»Nein. An dieser Denunziation ist außerdem irgend etwas faul, ein Teil der E-Mails wurde von Ulrike Bergers Computer in Österreich zu einem Zeitpunkt abgeschickt, als die Frau nachweislich ganz woanders war.«
Timmerman schaute Bruijn zögernd an. »Kann man der Berger vertrauen, die Frau ist doch an alldem beteiligt: An dem Anschlag von Final Action, an der Flucht O’Donnells …«
»Das Risiko sollte man eingehen. Eamon O’Donnell muß jetzt gestoppt werden«, sagte Bruijn resolut.
Timmerman schaute auf sein Handgelenk – es war 20.58 Uhr. »Die Maschine nach London ist noch zu schaffen, und von dort kann man auch noch nachts über den großen Teich
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