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Finnisches Quartett

Finnisches Quartett

Titel: Finnisches Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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Bentinck; wenn er nicht bald Hilfe erhielt, würde er Seraphim wieder anrufen.

MITTWOCH
    44
    Die prachtvolle Arie aus der Faust-Oper von Charles Gounod übertönte alles andere, während Ulrike Berger auf dem Dulles-Flughafen in Washington D. C. zur Paßkontrolle ging. Sie versuchte gar nicht, sich auf die Musik zu konzentrieren, die Kopfhörer sollten nur verhindern, daß Ratamo und Lasse sie beim Nachdenken störten. Jetzt wußte sie, was sie tun würde: Den Befehl, den sie Ezrael gegeben hatte, würde sie nicht zurücknehmen, selbst wenn sie Gelegenheit dazu erhielte. Zumindest jetzt noch nicht. Der Anruf von Seraphim in Den Haag war dafür entscheidend gewesen. Der Mann hatte ihr versprochen, bei der Entlarvung von John Dexter zu helfen, und zwar so, daß niemand starb. Er hatte ihr gesagt, sie solle abwarten, am Vormittag würde sie genaue Anweisungen erhalten. Ulrikes Gedankengang wurde unterbrochen, als ihr geschienter Daumen schmerzte. Das Bild vom zerschmetterten Finger des kleinen nordirischen Jungen tauchte vor ihr auf und quälte sie noch mehr als bisher. Ulrike holte die Medikamente aus der Tasche, stopfte sich ein paar Pillen in den Mund und warf einen Blick auf Lasse. Zumindest war sie nicht mehr allein.
    Trotz Seraphims Versprechen hatte Ulrike Angst, daß ihr Befehl zum Tod Dexters oder Ezraels führen könnte. Zu ihrem Entsetzen war sie jedoch bereit, dieses Risiko einzugehen. Es stand so viel auf dem Spiel. Was war eigentlich in den letzten Tagen mit ihr passiert? Die Angst brodelte in ihr; sie benutzte Ezrael als Mittel zum Zweck genau wie Mary Cash vor ihr. Warum gab ihr Gewissen keine Ruhe,obwohl sie sich immer wieder sagte, daß ihre Tat Millionen Menschen Nutzen bringen würde. Aus irgendeinem Grund fiel ihr plötzlich der Traum des jungen Ezrael ein, auf den Berg Croagh Patrick zu gehen und dort zu fasten. Gerade jetzt faszinierte Ulrike dieser Gedanke, vielleicht weil der über Tage anhaltende Streß jeden Muskel ihres Körpers anspannte. Oder vielleicht wollte sie nur vor der allzu großen Verantwortung fliehen, vor einer Situation, die sie nicht völlig beherrschen konnte. Sie spürte die Müdigkeit in den Beinen und dann eine Berührung auf ihrer Schulter.
    »Folgen Sie mir, stellen Sie sich hinter mir in der Schlange an«, sagte Ratamo zu Lasse Nordman, während Ulrike noch die Kopfhörer herunternahm. Ratamo wunderte sich über die angespannte Miene des Paares, hatten sie vor irgend etwas Angst? Er spürte den von der Klimaanlage verbreiteten Geruch, den er von seinen beiden bisherigen USA-Reisen schon kannte; er erinnerte ihn an die finnischen Eishallen.
    Die FBI-Agenten, die hinter der Paßkontrolle warteten, sahen auf fast amüsante Weise typisch aus: dunkle Anzüge und Schlipse, ordentlich gekämmte, kurze Haare und starr wie Steinplatten. Ratamo fiel ein, daß man die FBI-Agenten bei den Yankees »Hoovers« nannte, genau wie die Staubsauger. Auf dem Flughafen Dulles war es ruhig, in den frühen Morgenstunden landeten nur wenige Maschinen.
    Der Beamte dankte höflich, als Ratamo ihm seinen Paß reichte und das im Flugzeug ausgefüllte Formular, mit dem er auf Ehre verneinte, Kriegsverbrecher oder Terrorist zu sein. Mit diesen Formularen würden die US-Behörden vermutlich nicht sehr viele Psychopathen schnappen, überlegte er verärgert. Er war müde, die innere Uhr richtete sich noch nach der holländischen Zeit, und dort war jetzt schon Donnerstag morgen. Auch sein Gehirn, das nur stockend funktionierte, sehnte sich nach Schlaf. In der Maschine wares ihm nur gelungen, einmal kurz einzunicken, seine Platznachbarn, ein Kleinkind auf dem Schoß seiner Mutter und der stockbetrunkene Eigentümer einer Erdbaufirma, hatten ihn abwechselnd belästigt. Interessanter war das gewesen, was das Kind von sich gegeben hatte, vor allem als der Knirps ihm die Hälfte seines Breis auf die Jeans kotzte.
    Wegen der späten Buchung war Ratamo ein Platz in einem anderen Teil der Maschine zugewiesen worden, aber Nordman hatte Ratamos Gesellschaft gesucht, um sich mit ihm zu unterhalten. Die von einer Kognak-Fahne umwehten Ergüsse des Ex-Offiziers fielen Ratamo nun wieder ein. Nordman glaubte wirklich, daß die besten Eigenschaften der Finnen, also Ehrlichkeit, Zähigkeit, Mut, zerstört wurden, weil die Menschen vom Wohlstand abgestumpft waren und das Geld anbeteten … Vielleicht war da etwas dran.
    Ratamo schreckte aus seinen Gedanken auf, als der Paßkontrolleur nach dem Zweck der Reise fragte. Er

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