Finnisches Quartett
ganze Reise überflüssig erschien. In diesem Land wurde die Einhaltungder Gesetze heutzutage in krankhafter Weise ernst genommen. Er vermutete, daß man Eamon O’Donnell aufspüren und jagen würde wie einen Fuchs in der englischen Heide, und die Polizei würde höchstens auf Ulrike zurückgreifen, wenn der Mann überredet werden mußte, sich zu ergeben. Vielleicht würden diese Ermittlungen doch nicht so schwierig, wie er befürchtet hatte. Wenn O’Donnell gefaßt war, würde alles andere im Laufe der Zeit mit der herkömmlichen Polizeiarbeit aufgeklärt werden. Der Streß ließ nach, und der Alltag kehrte zurück. Er beschloß, Nelli sofort anzurufen, wenn er die Gelegenheit bekam, und wunderte sich dann lange, warum er zuweilen an Ilona dachte, aber überhaupt nicht an Riitta.
Das Trio wurde vor dem Hotel Best Western Pentagon abgesetzt, und zwei Männer des FBI hefteten sich an die Fersen von Ulrike und Lasse.
Der helle, flache Gebäudekomplex erschien Ratamo in seinen Dimensionen auf ganz unamerikanische Weise maßvoll. Im selben Augenblick hob ein junger Mann mit Bürstenhaarschnitt in einem gelben Umhang einen Pudel, der einen Overall in den Farben der amerikanischen Flagge anhatte, vor Ratamos Gesicht und bat um eine Spende für die Aktivitäten der ehemaligen Mitglieder der Hare-Krishna-Bewegung auf dem Gebiet der Landesverteidigung.
»Houston, we have a problem«, murmelte Ratamo und ließ klirrend eine Münze in den Becher des Fanatikers fallen.
45
Lady schnaufte auf ihrem Kissen und lief in ihrem Hundetraum über die saftigen Wiesen, die Morgensonne wurde durch die hellen Seidenvorhänge um das Himmelbett gefiltertund erschien Jaap van der Waal wie ein Schleier. Er hatte das Gefühl, Gefangener in seinem eigenen Haus zu sein. In der Regel genoß er die Untätigkeit, aber nun machte ihn die Angst unruhig. Heute war auch noch der Bevrijdingsdag, und ganz Holland würde feiern. Oder zumindest all jene, die keine Angst vor dem Engel des Zorns hatten.
Er wußte nun, daß seine Drohung, John Dexter zu entlarven, ein Fehler gewesen war. Irgend etwas hatte man mit ihm vor, das schien sicher, denn seit fast zwei Tagen hatte niemand Kontakt zu ihm aufgenommen. Von dem, was im Gange war, wußte er nur, daß die Polizei seine Aktivitäten mit großem Eifer untersuchte, daß Ulrike Berger, Lasse Nordman und der Engel des Zorns frei herumliefen und er selbst in seinem Schloß schlummerte wie Dornröschen. Aber heute würde er seinen Fehler korrigieren und erneut Seraphim anrufen, der würde auf gar keinen Fall das Risiko eingehen, daß den Behörden verraten wurde, welche Rolle er spielte. Ein Spiel war ein Spiel.
Lady erwachte, leckte das Gesicht ihres Herrchens und erhielt als Lohn ein paar Leckerbissen. Van der Waal hatte immer Schokoladenplätzchen auf dem Nachttisch liegen, um den Hund zu bestechen, damit er ihm als Fußwärmer diente. Er fühlte sich etwas besser. Letztendlich war er nicht in allzu großer Bedrängnis: Nur Pieter hätte beweisen können, daß er die Befehle zur Ermordung von Jorge Oliveira und Mary Cash erteilt hatte. Und Cash wiederum war das einzige Verbindungsglied zwischen ihm und den Morden an den Physikern. Die Amerikaner würden ganz sicherlich nicht zulassen, daß die Beweise, die sich im Besitz des Zornesengels befanden, in die Hände der Behörden gelangten: Das Video von seinem Treffen mit John Dexter würde die USA mit dem Konsortium und den Morden an den Physikern in Verbindung bringen. Auch die Ökoterroristen könnten ihn letztlich nicht ernsthaft in Gefahr bringen,denn anhand der wenigen Sätze, die sie im Gebäude von Dutch Oil gehört hatten, würde ihn kein einziges Gericht auf der Welt verurteilen.
Vor dem Spiegel im Badezimmer rieb sich van der Waal Haaröl auf den Kopf und kämmte die wenigen Haare sorgfältig nach hinten. Ob das neue Diorama einer Seeschlacht schon im Arbeitszimmer auf ihn wartete? Man hatte zugesagt, es am frühen Morgen zu bringen und aufzubauen.
Er warf sich den Morgenmantel über, fuhr mit den Füßen in die Pantoffeln und betrat den Flur im ersten Stock, wo ihn ein Wächter, der am Türrahmen lehnte, müde begrüßte. Van der Waal konnte sich nicht erinnern, den Mann schon einmal gesehen zu haben. Es war ärgerlich, wenn man sein Leben Sicherheitsleuten anvertrauen mußte, die man nicht kannte, auch wenn sie von derselben Firma kamen wie die entlassenen. Die Neuen waren nicht einmal alle Holländer.
Die Tür des Fahrstuhls im Erdgeschoß
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