Finnisches Quartett
öffnete ein anderer stummer Mann im dunklen Anzug, und im großen Arbeitszimmer wartete ein dritter. Van der Waal reagierte gereizt, beruhigte sich aber schnell wieder, denn schließlich war es besser, fremde Wachleute ertragen zu müssen als ungebetene Fremde. Er konnte jedoch nicht akzeptieren, daß sich der Mann auf den Tisch mit der Seeschlacht lehnte und sie so betrachtete, als verstünde er etwas davon.
»Pardon«,
sagte van der Waal, um den Mann auf sich aufmerksam zu machen, und zeigte dann mit der Hand auf die Empire-Stühle an der Wand neben den Bücherregalen,
»alstublieft.«
Der Zwischenfall dämpfte seine Freude darüber, daß man das neue Diorama schon geliefert und rechtzeitig aufgebaut hatte.
Das Hausmädchen brachte van der Waal eine große dampfende Tasse. Die Frau wußte, daß sie keinen Mucks sagen durfte: Der Hausherr, der ein Morgenmuffel war,brauchte seinen Milchkaffee und die Morgenzeitung vor dem Frühstück. Auf den Wirtschaftsseiten des Dagblad van het Noorden fanden sich schlechte Neuigkeiten: Die Talfahrt des Aktienkurses von Dutch Oil ging weiter, während die Kurse von Exxon Mobil, Pennzoil, BP und Texaco weiter stiegen.
Van der Waals Laune wurde noch schlechter, als sein Blick auf ein Buch fiel, das gestern vom Versandhandel gekommen war: Die Seekriege zwischen England und Holland 1652 – 1674, von Roger Hainsworth, Assistenzprofessor für Geschichte an der Universität Adelaide. Was wußte denn ein Schotte schon von der Seekriegsgeschichte? Er hatte das Buch bestellt, um darin sachliche Fehler zu suchen und Hainsworth einen Fan-Brief zu schicken.
Jetzt kam der Höhepunkt des Tages, beschloß van der Waal und watschelte zum Tisch mit dem neuen Diorama. Voller Begeisterung betrachtete er die Konstellation der Schlacht von Texel zwischen der holländischen Flotte und jener der englisch-französischen Koalition, so wie sie der Oberbefehlshaber der holländischen Flotte Michiel de Ruyter am 21. August 1673 erlebt hatte. Die Schnitzarbeit war meisterlich, er erkannte sogar die Miniatur de Ruyters auf der Kommandobrücke der De Zeven Provinciën, des Flaggschiffs der aus einhundertfünfzehn Kriegsschiffen bestehenden holländischen Flotte. Auch die Menschen, die am Ufer von Kijkduin die Schlacht verfolgten, sahen fast lebendig aus.
Gerade als sich van der Waal in die Schlacht hineinversetzt hatte, war neben den Bücherregalen das Rauschen eines Sprechfunkgeräts zu hören, und der Wächter verließ gemächlich das Zimmer.
Van der Waal beschloß, den interessantesten Zusammenstoß der Schlacht von Texel durchzugehen, und beugte sich über das Diorama.
Das von Vizeadmiral Spragge kommandierte französische Schiff Royal Prince greift das Schiff Gouden Leeuw des Holländers Cornelis Tromp an. Spragge will sich an Tromp für die demütigende Niederlage in der Schlacht von Schooneveld rächen. Tromp wiederum hat den brennenden Wunsch, die Royal Prince zu attackieren, sieben Jahre zuvor hatte er in einem vier Tage währenden Kampf vergeblich versucht sie zu zerstören.
Van der Waal ging ungewöhnlich flink an das andere Ende des drei Meter langen Dioramas und konzentrierte sich.
Am Ende des heftigen Kampfes hat Spragges Royal Prince zwei Maste verloren, und auch Tromps Gouden Leeuw ist schwer beschädigt. Beide Kommandanten müssen ihre Schiffe verlassen …
Plötzlich erstarrte van der Waal, sein Blick heftete sich auf das Schiff Royal Prince: Es waren drei gebrochene Masten und nicht zwei, wie es hätte sein müssen. Der Hersteller des Modells würde sich bei einem so wichtigen Detail ganz gewiß nicht irren. Van der Waal fluchte so heftig, daß ihm die Stimme versagte. Der Wächter hatte doch nicht etwa an den Modellen herumgespielt und den dritten Mast abgebrochen? Die Wut brannte in den Schläfen; hatte sich der Wächter eben aus dem Zimmer davongemacht, weil er ahnte, daß seine Missetat entdeckt werden würde?
Van der Waal beugte sich über das Diorama, entdeckte den ein paar Zentimeter langen Mast neben dem Schiff und beruhigte sich etwas. Er würde ihn da wieder befestigen, wo er hingehörte. Van der Waal holte auf seinem Schreibtisch eine Tube Leim, griff nach dem Mast, hob ihn hoch und sah, wie sich ein dünner Faden an dem Mast spannte. Ein Knacken war zu hören. Jaap van der Waal begriff noch, daß er das Spiel verloren hatte, und seine Ohren registrierten das Geräusch des Todes – die Explosion.
46
Ezrael keuchte. Er hatte das Grundstück des Verräters Dexter
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