Finnisches Quartett
durcheinandergeraten. Sie dachte fieberhaft nach und erinnerte sich an Lasses Anweisungen. »Wenn du dem mit blauen Stöcken gekennzeichneten Pfad in Richtung Sonne folgst, kommst du über kurz oder lang auf den Parkplatz.« Ulrike ging los und befolgte die Anweisungen, hielt sich aber sicherheitshalber etwa zwanzig Meter von den blauen Stöcken entfernt. Sie glaubte immer noch nicht, daß die Suchtrupps tatsächlich verschwunden waren. Es kostete viel Kraft, durch das hohe Gras zu gehen, ihr ganzer Körper schmerzte, und die Angst dröhnte im Kopf. Sie hatte schon jetzt Sehnsucht nach Lasse.
Dann stieg die Wut in ihr hoch. Warum zum Teufel hatten sie so ein Pech? Was hatte die Alarmanlage in der Zentrale von Dutch Oil ausgelöst? Es wurmte sie auch und bereitete ihr Sorgen, daß der verwundete und eher ängstliche Jorge bei den Verhören möglicherweise zusammenbrachund aussagte und damit die Arbeit von Final Action erschwert werden würde. Aus Lasse bekämen die Behörden kaum etwas heraus.
Doch aufgeben würde sie nicht. Wenn die Geschichte von Final Action zu Ende war, dann würde sie etwas Neues anfangen. Mit Lasse zusammen würde sie eine neue Organisation gründen und nicht aufgeben, bevor auch ihr letztes Ziel erreicht war. So sprach sich Ulrike Mut zu, während sie durch das hohe Gras stapfte. Sie hatte schon als kleines Mädchen beschlossen, daß sie etwas Wichtiges werden würde, sie wollte den Menschen helfen und die Welt verändern. Ulrike wußte, daß sie auf der Seite des Guten stand, und sie würde keine Ruhe geben, solange sie diese Veränderung nicht sah. Der größte Teil der Menschen verfolgte die Zerstörung der Erde immer noch stumm und sah zu, als wäre er unbeteiligt, obgleich die Hälfte der Regenwälder vernichtet war, die Ausbeutung der Entwicklungsländer immer größere Ausmaße annahm, der Raubfischfang blühte und der Klimawandel sich verschlimmerte. Ganz zu schweigen von den vielen Kriegen.
Ein Hoffnungsschimmer war zu sehen, als in ihrem Blickfeld ein großes blaues Info-Schild auftauchte und schließlich auch das Gebäude darunter. Auf dem Parkplatz stand ein Dutzend Autos. Sie sollte sich das älteste aussuchen, hatte Lasse ihr geraten. Ulrike schlich am Waldrand entlang zu den Autos und ließ den Blick über die Wagen wandern, bis sie einen schmutzigen Ford Sierra entdeckte, an dessen Karosserie der Rost blühte.
Sie wartete im Gebüsch, bis das ältere Ehepaar, das aus einem Minivan stieg, nicht mehr zu sehen war, rannte gebückt zu dem Sierra und sah im Heckfenster einen rotweißen Wimpel von Ajax Amsterdam. Perfekt. Sie stieß die stabile Leatherman-Feile zwischen Kofferraumtür und Karosserie und rüttelte, bis die Tür krachend aufging. Nachdemsie hineingekrochen war, stopfte sie Putzwolle, die auf dem Boden lag, in das Schloß, um zu verhindern, daß die Tür einrastete. Dann befestigte sie das Armband ihrer Uhr an der Metallstrebe der Kofferraumtür. Das Gewicht der Hand zog die Tür fast zu. Sie spürte ihren Pulsschlag.
Wie lange müßte sie im Kofferraum liegen, wann kam der Fahrer wieder? Vielleicht fuhr er auch gar nicht nach Amsterdam. Denk positiv, sagte sich Ulrike, Holland ist ein kleines Land, und am wichtigsten war es, hier wegzukommen.
Der Anschlag auf Dutch Oil kam ihr in den Sinn, sobald der schlimmste Streß nachließ. Die Zerstörung der Datensysteme des Ölkonzerns war immerhin gelungen, aber allein wirtschaftliche Schäden würden Dutch Oil nicht sonderlich erschüttern, denn die Ölkonzerne hatten einfach zuviel Geld. Endgültig gelungen wäre die Aktion erst, wenn der Chef von Final Action die internationale Presse und das Fernsehen über den Anschlag und gleichzeitig über all das Unrecht informierte, das Dutch Oil weltweit beging.
Dutch Oil hatte alles, was Final Action dem Unternehmen antun konnte, vollauf verdient. Der Konzern hatte massive Umweltschäden und Hungersnöte im Niger-Delta verursacht, Südafrika verschmutzt, Wasservorräte in der Türkei verseucht, Umweltgifte in Brasilien gelagert, sie hatten versucht, einen Ölförderbetrieb in der Nordsee aufzugeben, und gefährliche Pestizide in Nepal gelagert. Und der Konzern finanzierte Diktatoren und deren Kriege und bestach Entwicklungsländer, damit sie Sondermüll abnahmen, der dort aber nicht vorschriftsmäßig gelagert werden konnte.
Die Autotür klappte, und Ulrike fuhr zusammen. Dann brummte der Motor, der Sierra setzte sich in Bewegung, und der Streß ließ endgültig nach:
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