Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Finnisches Quartett

Finnisches Quartett

Titel: Finnisches Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
Vom Netzwerk:
die Wohnung von Ezrael aus sicherer Entfernung. Sie hatte den Häuserblock schon dreimal umkreist und jedes Auto und Hausboot, das zu sehen war, eine ganze Weile beobachtet. In ihrem Blut strömte weiter das Adrenalin; noch nie war sie dem Tod so nah gewesen wie in dem Ruderboot, als sie den Lauf von Pieters Waffe vor sich gesehen hatte. Sie brauchte Ezraels Hilfe.
    Ein alter Mann in schmuddligen Sachen und mit einer Pfeife im Mund kam auf dem rotbraunen Hausboot an Deck, da war sich Mary sicher genug, daß in keinem der Boote am Kanal und in keinem der auf der Uferstraße parkenden Autos Ermittler des AIVD oder Untergebene van der Waals saßen.
    Sie löschte ihre Zigarette, betrat Ezraels Haus durch den Haupteingang und drückte sich im Treppenflur an die Wand. Niemand folgte ihr. Gleich würde sie den Bruder zwingen, alles in Ordnung zu bringen, schwor sich Mary, als sie die Treppen hinaufstieg. Sie wußte, mit welchen Mitteln sie Ezrael zum Gehorsam bringen konnte: Man brauchte nur dafür zu sorgen, daß er sich unterordnen mußte, indem man mit dem Riemen, dem Verlust eines zweiten Fingers oder mit etwas anderem drohte, was die Verteidigungswälle der Scheinwelt durchbrach, die Ezrael zu seinem Schutz errichtet hatte. Mary hoffte, daß er ihr auch ohne all das glaubte, denn der Psychologe der IRA hatte vor kurzem mit Ezrael gesprochen und sie davor gewarnt, den Bruder übermäßig zu verwirren.
    Mary holte den Schlüssel aus der Tasche, beschloß aber, doch erst zu klopfen: Falls Ezrael durchging wie ein scheuendes Pferd, dann konnte es geschehen, daß er sogar sie angriff. Es war nichts zu hören, sosehr sie auch an die Tür hämmerte, also schloß sie auf und trat vorsichtig hinein: Ezrael stand nackt auf dem Dielenfußboden; das Licht derKerzen flackerte auf seiner Haut. Hinter dem Altartisch lugte vorsichtig eine ängstlich wirkende junge Frau hervor – Ulrike Berger.
    »Der Auftrag ist zu Ende geführt, ich brauche meinen Umhang nicht mehr«, sagte Ezrael feierlich und warf den Kamelhaarumhang Mary vor die Füße.
    Mary versuchte zu begreifen, was geschehen war. Jetzt akzeptierte Ezrael auf einmal, daß der Auftrag zu Ende war, aber warum lebte Ulrike Berger dann immer noch? »Anscheinend brauchst du eine Strafe. Vater kann sie dir nicht mehr verpassen, aber ich.« Mary nickte in Richtung Ulrike. »Diese Frau muß sterben. Dann können wir in die Sicherheitswohnung ziehen und unser Honorar abholen.«
    »Nein. Sie ist der Engel der Offenbarung. ›
Und die Gottlosen alle werden’s nicht achten; aber die Verständigen werden’s achten

.
« Ezrael gehorchte seiner Schwester nicht, wie ein bockiges Kind.
    »Denk daran, Ezrael, daß ›
die Übertreter und Sünder miteinander zerbrochen werden und die den Herrn verlassen umkommen

.
« Mary zerrte an den Fäden, die ihren Bruder bewegten. »Wo ist der Riemen?« brüllte sie.
    Ezrael zog den Kopf ein, und seine Schultern sanken nach vorn.
    Ulrike fiel es schwer, zu verstehen, was hier geschah. Hatte sich Ezrael geweigert, sie umzubringen? »Höre nicht hin, Eamon. Sie ist nicht der Bote, sondern Mary. Deine Schwester. Sie nutzt dich aus. Genau wie damals dein Vater.«
    Mary starrte Ulrike verdutzt an, wie zum Teufel konnte die Frau etwas aus der Vergangenheit wissen? Was hatte sie mit Ezrael gemacht?
    Urplötzlich krachten Schüsse in der Wohnung. Ulrike drückte sich instinktiv gegen den Fußboden, und Mary warf sich an der Wand hin. Kugeln pfiffen, das Altarbild wurde zerrissen, das Keltenkreuz fiel von der Wand, undmehrere zerschossene Kerzen rutschten auf die Dielenbretter. Ezrael kroch wie ein Waran zum Schlafzimmer.
    Die durchsiebte Tür wurde eingetreten. Pieter stürmte herein und durchlöcherte die Jacke von Marys Hosenanzug, das weiße Kleidungsstück verfärbte sich rot. Als er die Waffe auf Ulrike richtete, war seitlich ein Zischen zu hören. Pieter drehte den Kopf und konnte noch sehen, wie der Haß in Ezraels Augen aufblitzte, bevor sich das Messer in seine Kehle grub.
    Ulrike erkannte ihre Chance und rannte über die Leichen zur Tür. Sie war schon bis zur ersten Treppe gekommen, als Ezrael sie am Hals packte. Das Entsetzen strömte heiß durch ihren Körper. War die Bestie losgelassen, der gleiche Verrückte, der vor dem WTC getobt hatte? Doch Ezrael hob sie hoch und trug sie zurück in die Wohnung. Verzweiflung überwältigte sie; die Gelegenheit zur Flucht hatte sie verpaßt.
    Ezrael stieß den Engel der Offenbarung an den

Weitere Kostenlose Bücher