Finnisches Requiem
schuld war. In der Zeit der Krise logen die Politiker, weil das die Voraussetzung für den Beitritt zur EU war. Die Politiker und die EU hatten ihn ruiniert. Und sie würden auch Finnland zerstören. Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union hatte schon die finnische Landwirtschaft zerschlagen, die ländlichen Regionen entvölkert und Finnland die Mark weggenommen. Der größte Teil der traditionsreichen finnischen Unternehmen war ins Ausland verkauftworden, und die politische Entscheidungsbefugnis lag nun bei einigen Schlüsselministern und in den Brüsseler Konferenzräumen. Mit Dutzenden Millionen Euros aus finnischen Steuergeldern wurden abgelegene Dörfer in Südeuropa unterstützt, obwohl im letzten Jahr zweihundertvierzigtausend Finnen nach eigenen Angaben gehungert hatten.
Durch die Tötung finnischer Spitzenpolitiker hätte man nichts erreicht, denn sie hatten ihr Land längst an die Europäische Union verkauft. Das wahre Ziel seiner Rache war die EU. Sie versuchte einen europäischen Bundesstaat zu schaffen und Finnland von der Weltkarte zu löschen. Der Anteil der Finnen an der Gesamtbevölkerung der EU betrug nicht mal anderthalb Prozent. Und etwa genausoviel würde Finnland bald bei den Entscheidungen in der EU zu sagen haben. Nämlich nichts. Ohne mit der Wimper zu zucken, würde man den Willen seines Landes übergehen und Finnland mit dem Eroberer, mit der EU, verschmelzen. Alle Fakten sprachen dafür, einfach alle. Die Bedeutung der Beschlüsse kleiner EU-Staaten war schon lange gleich Null: Dänemark wurde bestochen, damit es dem Maastricht-Vertrag zustimmte, und Irlands Nein zum Vertrag von Nizza stieß auf taube Ohren.
Die Finnen hatten sich ihren Wohlstand mit Blut und Schweiß verdient. Die EU nahm viel, gab aber nichts. Garantiert stünde Finnland allein da, wenn irgendwann eine Krise ausbrechen würde. Und die kam mit Sicherheit. Finnland war zu allen Zeiten mit den Verlierern im Bunde gewesen: Schweden verlor den Krieg gegen Rußland 1809, die zaristische Macht wurde von den Kommunisten zerstört, die Nazis verloren den Zweiten Weltkrieg, und die Sowjetunion zerbrach an ihrer eigenen Absurdität.
Pastor packte den Inhalt seines kleinen Pilotenkoffers aus. Die Fliegen, die er auf den Flughäfen von Brüssel und Malaga gekauft hatte, und das Kuh-Puzzle für Hannele legte erauf die Garderobe und die Schlaftabletten auf den Nachttisch. Andere Medikamente rührte er nicht an, aber das Zopinox brauchte er. Er war so voller Rachlust, Verbitterung und leidenschaftlicher Überzeugung, daß er nicht schlafen konnte. Ausruhen würde er sich dann, wenn die Aufgabe erfüllt war.
Pastor verbrannte die Plastiktüten aus den Tax-free-Shops im Waschbecken und spülte die Reste in der Toilette hinunter. Er war bereit. In zwei Stunden würde sich das Exekutionskommando treffen, er hatte noch Zeit, allein am Ort des Geschehens einen Rundgang zu machen, bevor sie den Schauplatz alle zusammen ein letztes Mal besichtigen würden. Die Mitglieder des Kommandos kamen auf unterschiedlichen Wegen nach Sevilla. Wer genug Zeit hatte, reiste anonym mit dem Auto oder der Bahn an. War jemand wegen des Zeitplans gezwungen zu fliegen, wechselte er sofort den Paß, wenn er ihn benutzt hatte. Niemand wäre in der Lage, ihre Spuren zurückzuverfolgen.
Doch zuerst wollte er seinen nächsten Hinweis vorbereiten. Er hatte einen Weg gefunden, wie er etwas für sein eigenes Anliegen tun konnte: An jedem Tatort würde er eine Botschaft hinterlassen. Das mußte er einfach tun dürfen. Eines Tages würden die Finnen begreifen, daß er ein Freiheitskämpfer war. Er wollte sowohl Rache als auch Wiedergutmachung.
Pastor hoffte, daß Drina seinetwegen keine Probleme bekam. Er machte sich immer noch Sorgen um den Freund. In gewisser Weise war auch dessen Leben durch die finnischen Politiker zerstört worden.
»Finska Järn« könnte Drina einen besseren Job bieten als den eines Kriminellen oder Söldners.
Als alles bereit war, nahm Pastor den Schlüssel aus der Schale, verließ das Zimmer und ging rasch an der Rezeption vorbei.
Die Türen des kleinen Hotels führten auf die schmale Calle Mariana de Pineda. Die dreistöckigen, weiß gekalkten oder rot- beziehungsweise gelbocker gestrichenen Häuser im Mudéjar-Stil standen sich nur wenige Meter voneinander entfernt gegenüber. Durch die von eisernen Pforten verschlossenen Tore sah man die Innenhöfe, die mit Blumen und bemalten Fliesen geschmückt waren. Für einen Augenblick
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