Finnisches Requiem
Restaurants boten Weine aus Erdut an. Sein Freund war ein Business-Genie.
Das bis zum Rand mit Slibowitz gefüllte Glas wackelte, als Jugović zusammenzuckte, weil es an der Tür klingelte. Er hatte keine Lust, den Fleck wegzuwischen, obwohl ihm klarwar, daß der Pflaumenschnaps den Lack verätzen würde. Mahagonitische gab es schließlich genug auf der Welt. Wer zum Teufel wollte an einem Montagabend um acht zu ihm? Er bekam nie überraschenden Besuch. Jedenfalls keinen erwünschten.
Jugović zog das schwarze Polohemd an, das auf dem Sofa lag. Niemand sollte den kläglichen Engel auf seinem Arm sehen, das Werk eines miserablen Künstlers aus Priština. Im Drogenrausch hatte er diese Tätowierung für eine gute Idee gehalten, danach nie mehr. Im Flur warf er einen Blick in den Spiegel und fuhr mit der Hand durch seine schwarzen Haare. Er hatte keine Zeit, sich richtig zu kämmen.
Vor der Tür wartete Attila Horvát, ein großgewachsener Mann mit einem durchdringenden Blick. Jugović hatte Angst vor dem Ungarn. Nicht vor der Kraft der »Peitsche von Pest«, sondern vor den tief in den Höhlen liegenden, kleinen Augen, denen nichts entging, und vor dem Gehirn, das dahinter tickte. Horvát war der wirkliche Führer von »Krešatik«. Valeri Zelentsov hingegen arbeitete nur als Vertreter der ukrainischen Mafia in Budapest und sorgte dafür, daß die Jungs aus Kiew ihren Anteil am Kuchen erhielten. »Krešatik« hatte man auf dem Fundament von Horváts alter Budapester Organisation gegründet. War der Ungar ihm auf die Spur gekommen? Bisher hatte er noch nie bei ihm zu Hause vorbeigeschaut. Wußte Horvát, daß er heimlich den Auftrag für die Ermordung der Kommissare übernommen hatte? »Krešatik« würde den Verrat mit dem Tod belohnen.
Unaufgefordert holte Jugović für seinen Kollegen eine Büchse Dreher-Bier und einen Salzstreuer und fragte, was passiert sei. Der in Serbien, im Gebiet der ungarischen Minderheit in der Vojvodina, geborene und aufgewachsene Horvát sprach einen seltenen serbokroatischen Dialekt, wenn er mit ihm redete. Jugović verstand ihn einigermaßen, obgleich die verschiedenen Dialekte des Serbokroatischen in denletzten zehn Jahren mit großer Geschwindigkeit eine eigene Entwicklung genommen hatten. Serbisch, Kroatisch und Bosnisch wurden schon für unterschiedliche Sprachen gehalten.
Die Büchse verschwand in Horváts riesiger Pranke, er goß Bier in ein Glas und streute Salz auf die niedrige Blume. Das Getränk schäumte, und die Blume wuchs. Der Ungar schaute sich um; es sah so aus, als wäre Jugović gerade eingezogen. Möbel gab es nur wenige, die Wände und Fußböden waren kahl, und überall standen Pappkartons herum.
»Ich glaube, Drina hat einen Auftrag und wirtschaftet dabei in die eigene Tasche«, sagte Horvát schließlich.
Es fehlte nicht viel, und Jugović hätte sich verschluckt und den Slibowitz herausgeprustet. Horvát wußte etwas. Warum gerade jetzt? Jugović brauchte Drina noch eine Woche. Nur Drina konnte das Exekutionskommando führen, er hatte schon alles organisiert. »Sag bloß, wirklich?« brachte Jugović schließlich heraus. »Wie kommst du darauf?«
»Drina hat zwei Monate lang keinen Forint und auch sonst nichts in die Kasse eingezahlt. Und er hat auch keinen Auftrag in Arbeit. Zumindest keinen, den er dem Rat gemeldet hätte.«
Jugović beruhigte sich, die Panik verschwand wie Staub in der Brandungsgischt. Horvát wußte noch nichts, er hatte nur einen Verdacht. »Du hast recht. Das ist merkwürdig. Soll ich klären, was der Mann treibt?« sagte Jugović, seine Nasenflügel bebten beim Sprechen.
Ein Lächeln breitete sich auf dem großen Gesicht des Ungarn aus. »Ich wußte, daß man sich auf dich verlassen kann.« Horvát streute Salz in sein Glas, wartete, bis das Bier schäumte, und schüttete es sich in den Rachen. Der unförmige Mann leckte sich die kleinen, schmalen Lippen, zwischen denen dunkle Zähne zu sehen waren. Sie unterhieltensich kurz über geschäftliche Dinge, dann verschwand Horvát genauso unauffällig, wie er gekommen war.
Jugović fluchte laut. Die Morde an den Kommissaren mußten gelingen: Er wollte zurück in seine Heimat. Nach der Ermordung Arkans hatte er aus Belgrad fliehen müssen. Als im Januar 2000 gegen Slobodan Milošević wegen seiner Kriegsverbrechen Anklage erhoben wurde, hatte der Sicherheitsdienst Rest-Jugoslawiens Arkan im Foyer des Hotels Intercontinental liquidiert. Der Mann wußte zuviel über die Beteiligung der
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