Finnisches Requiem
»Krešatik« und von Kommissaren. Dabei ereiferte er sich immer mehr und behauptete sogar, in Helsinki, Sevilla und anderen europäischen Städten, an deren Namen sich Hannele einfach nicht mehr erinnern konnte, werde etwas geschehen. Hatte Pastor auf die Morde an den Kommissaren angespielt? War Pastors Budapester Freund in den Tod der Kommissare verwickelt? Pastors Verschwinden stand doch nicht etwa mit den Morden in Zusammenhang? So etwas durfte sie nicht denken.
Pastor selbst war in gar nichts verwickelt. Sie bildete sich das nur ein. Pastor täte niemandem etwas zuleide. Wieder einmal hatte sie ihren Gedanken freien Lauf gelassen, bald würde sie erneut von Wahnvorstellungen beherrscht werden. Sie schämte sich. War das ein Psychoserückfall? Würde man sie wieder im Krankenhaus einschließen? Kehrten die Stimmen zurück? Der Deckel der Pillendose schnappte auf, und Hannele warf sich die Neuroleptika drei Stunden vor der Frist in den Mund. Die Psychopharmaka wirkten jedoch erstnach einiger Zeit, deshalb nahm sie vorsichtshalber zusätzlich ein schnell wirkendes Beruhigungsmittel. Zwei Anxidin-Pillen reichten.
Sie blickte zur Uhr und sprang auf. Wenn sie sich nicht beeilte, kam sie zu spät zur Psychotherapie.
Hannele Taskinen gähnte und entdeckte am Ellbogen ein neues Loch in ihrem abgetragenen Pullover. Eigentlich hatte sie sich vorher noch duschen, schminken und neue Sachen anziehen wollen, aber dann hatte sie sich einfach nicht dazu aufraffen können. Vermutlich würde Irmeli sie gleich ausschimpfen und ihr einen Vortrag halten: »Es ist ein Zeichen psychischen Wohlbefindens, wenn man sich um seine persönliche Hygiene kümmert.« Nur gut, daß sie nicht besser aussah: Der Flegel, der ihr gegenübersaß, hielt sie auch in diesem Zustand für so interessant, daß er sie mit unanständigen Vorschlägen überhäufte.
Hannele haßte die psychiatrische Poliklinik in Kallio. Auf ihren endlosen Gängen landeten die hiesigen Wirrköpfe, die in den mystischsten Sphären schwebten. Dennoch mußte Hannele die Psychotherapie an jedem Montag ordnungsgemäß absolvieren, damit sie problemlos weiter in ambulanter Behandlung bleiben konnte. Sie hatte schon allzu viele Jahre ihres Lebens in geschlossenen Einrichtungen verbracht.
Mit glasigen Augen starrte sie auf das Schild an der Tür: »Irmeli Itälä, Fachärztin für Psychiatrie«. Es war eine Minute nach drei. Hannele mochte Irmeli. Sie waren ungefähr gleichaltrig und ähnelten sich auch vom Typ her. Allerdings wünschte sie sich, daß Irmeli nicht so unermüdlich in ihrer Kindheit herumkramte. Irmeli vertrat die Meinung, die Verarbeitung der Traumata ihrer Kindheit sei die Voraussetzung für eine Besserung ihres Leidens. Für Hannele selbst war es nur bedrückend, wenn ständig auf den alten Sachen herumgeritten wurde.
Auch Pastors Jugend konnte man nicht gerade glücklich nennen. Seine kränkliche Mutter, die ihm fremd blieb, war gestorben, als der Junge an der Schwelle zum Teenageralter stand, in dem Kinder besonders sensibel sind. Weder der Vater noch die Kindermädchen erzogen den Jungen. Niemand setzte Klein-Pastor Grenzen, nichts wurde ihm verboten. Es war fast ein Wunder, daß es Pastor gelang, seinen Seelenfrieden und sein inneres Gleichgewicht so gut zu bewahren. Erst nach dem Konkurs von »Finska Järn« wurde er verbittert und zog sich zurück.
Hannele wollte Irmeli erzählen, was sie von Pastor gehört hatte, obwohl sie sich deswegen Vorwürfe machte und schämte. Aber sie mußte versuchen, Pastor zu helfen. Es konnte sein, daß er sich in einer Art Notlage befand. Warum hätte er sonst aufgehört, sie anzurufen?
Plötzlich öffnete sich die Tür weit, Irmeli rief sie auf und bat sie, Platz zu nehmen. Der Raum sah klinisch sauber aus und roch nach Desinfektionsmittel. Diese Kombination weckte bei Hannele schlechte Erinnerungen an das Krankenhaus. Sie unterhielten sich darüber, was Hannele in der vergangenen Woche getan, gedacht und welche Ängste sie gehabt hatte, so wie am Anfang jeder Therapiesitzung. Irmeli erreichte immer, daß sie aus sich herausging. Vielleicht würde Irmeli ihr glauben.
»Ich weiß übrigens, wer die Kommissare ermordet hat«, sagte Hannele unvermittelt und beobachtete verstohlen Irmelis Reaktion. Die Ärztin schaute sie verständnisvoll, aber abwartend an.
Das verlieh Hannele zusätzliches Selbstvertrauen. »Ein finnischer Krimineller, der in Budapest wohnt.«
»Sprich nur weiter. Erzähle noch mehr«, erwiderte
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