Finnisches Requiem
Versuch, vernünftig mit Timo zu reden, nichts mehr bringen würde. Und außerdem fragte er sich, ob er überhaupt geeignet war, jemanden zu belehren? Mit seinen Fähigkeiten auf dem Gebiet der zwischenmenschlichen Beziehungen würde er nicht mal die Prüfung in der Hundeschule bestehen. Er beschloß, am nächsten Tag auf das Thema zurückzukommen, wenn Timo wieder verstand, was er hörte. Auch Seija mußte er anrufen. Er wußte, was die Familie für Timo bedeutete. Jetzt hatte ihn nur die Wut über seinen Rausschmiß aus der Bahn geworfen, es konnte aber passieren, daß er die Kontrolle völlig verlor, wenn Seija ihm tatsächlich den Laufpaß gab und ihn ins Hotel schickte.
Der Apfelgeschmack des Calvados Coquerel streichelteden Gaumen und brannte ein wenig. Für diesen Calvados wurden nicht über hundert Apfelsorten verwendet wie für die besten. Ratamo spürte, daß die Anspannung nachließ, er dachte an die letzten Tage und mußte lachen. Himoaalto verhielt sich wie ein Teenager und Riitta wie eine Klassenlehrerin.
Nach einigen Gläsern Selters mit Koskenkorva-Wodka wollte Himoaalto ins »Storyville«, um nach Frauen Ausschau zu halten. Auch Ratamo hatte schon so viele Umdrehungen, daß er dem Vorschlag ohne weiteres zustimmte. Es war erst kurz vor elf, er würde ein paar Calvados trinken und dann mit der Taxe nach Hause fahren. Auf dem Weg zur Tür ging er an einer Frau vorbei, die ständig wiederholte: »Zwei Drittel der Erdoberfläche sind mit Wasser bedeckt. Verkaufe keinen Wald. Zwei Drittel …« Sie hatte die ganze letzte Stunde am Automaten Poker gespielt.
Ein Taxistand fand sich in der Nähe der Gaststätte. Kaum hatten sie das Schild erreicht, kam ein neuer 300er Mercedes angerauscht und hielt vor ihnen. Seine Stereoanlage dröhnte so laut, daß die Fenster vibrierten. Die beiden stiegen mühsam hinten ein. Ratamo wollte den Fahrer gerade bitten, die Musik leiser zu stellen, als Timo an »Let there be rock« von AC/DC Gefallen fand.
»Lauter!« brüllte er. Der Fahrer tat, was man von ihm verlangte, und schon bald wippte das Duo im Hardrockrhythmus. Als das Stück zu Ende war, legte der Fahrer die Hurriganes auf. Timo konnte den Text von »Get on« halbwegs auswendig. Der Fahrer raste wie ein Verrückter durch das Zentrum nach Etu-Töölö. Er öffnete sein Fenster, und der kalte Luftstrom schlug den beiden ins Gesicht.
Die Vollblutmusiker von Dr. Snout and His Hogs of Rhythm improvisierten im »Storyville« für das Publikum in Sakkos und Hosenanzügen. Ratamo erkannte zwei Parlamentsabgeordnete, die in repräsentativer Haltung über dasTanzparkett torkelten. Er schaute sich um und sah sondierende und ausweichende Blicke. An diesen Orten wechselten die Gesichter, aber die verzweifelte Hektik ging immer weiter. Dabei sah man vielen Hyperaktiven an, daß sie sich eigentlich nach Stillstand sehnten.
Himoaalto bekam an der Bar einen Drink und verschwand sofort im Labyrinth des Restaurants. Ratamo beobachtete seinen Freund. Timo lief mit dem Glas in der Hand immer um die Bar herum und jagte Frauen hinterher, man hätte seine Rundenzeiten stoppen können. Es fehlte nur noch eine Radarantenne auf seinem Kopf, mit der er ein Signal von einer schönen Frau empfing.
Plötzlich kehrte Himoaalto überraschend wieder an die Bar zurück und ließ sich laut auf einen Barhocker fallen, ganz in der Nähe von Ratamo. Timo war jedoch so betrunken, daß er seinen Freund nicht einmal bemerkte. Außerdem hatte er den Blick auf die attraktivste Frau im ganzen Restaurant geheftet. Geduldig wartete er und beobachtete, wie sie einem Bewerber nach dem anderen einen Korb gab. Schließlich hielt Timo seinen Augenblick für gekommen.
Ratamo hätte fast sein Bierglas verschluckt, als die Frau Himoaaltos Aufforderung zum Tanz annahm. Die Schönheit unterhielt sich in aller Ruhe weiter mit ihren Freunden, kramte in ihrer Handtasche und ließ Timo absichtlich warten. Die Zeit verging. Schließlich geruhte die Dame doch, ihm auf das Tanzparkett zu folgen, und stellte sich wie eine Prinzessin vor Timo hin.
Dieser hatte die Vorbereitungen seiner Tanzpartnerin höflich abgewartet. Sein Gesichtsausdruck war äußerst freundlich, als er sagte: »Sorry. Du hast zu lange überlegt.«
Ihr Gesicht erstarrte. Dann verlor sie die Fassung, trommelte mit ihren Fäusten auf die Brust des zwei Meter großen Mannes und rief etwas, was Ratamo, der die Situation amüsiert beobachtete, nicht verstand.
Zum Glück wird er in diesem Zustand keine
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