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Finnisches Requiem

Finnisches Requiem

Titel: Finnisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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Apotheke; damit ließen sich Fingerabdrücke verhindern.
    »Meiner Meinung nach gibt es nur einen Verdächtigen: Ismo Varis vom ›Global Block‹«, sagte Wrede entschlossen. »Varis ist der einzige finnische Verdächtige, der nachweislich zur Zeit der Ermordung Reinharts in Helsinki und während der Ermordung Sundströms in Sevilla war. Es kann sein, daß Varis durchgedreht ist. Nach Ansicht von Kate Harris hinterläßt er Hinweise, weil er sich einbildet, eine Art Freiheitskämpfer zu sein.« Wrede verwendete die Informationen, die er gerade von Kuurma gehört hatte.
    Riitta wäre um ein Haar in die Luft gegangen. Jetzt wurde ihr klar, warum sie ihren Bericht vor Ketonens Eintreffen abgeben sollte. Wrede stellte die Ergebnisse ihrer Arbeit als seine eigenen dar. Sie war so wütend, daß sie Sternchen sah. Warum ließ sich ein qualifizierter Fachmann zu so etwas hinreißen?
    Ketonen dachte konzentriert über das Gehörte nach. Wrede hoffte, daß er nicht mehr lange auf die Meinung des Chefs Rücksicht nehmen mußte. Am vorhergehenden Abend hatte er sich ein Herz gefaßt und Kesämäki angerufen, den Leiter der Polizeiabteilung im Ministerium, der gerade erst sein Amt angetreten hatte. Sie kannten sich gut und waren wie auch ihre Frauen Mitglieder im Lions Club. Kesämäki verstand, daß die Mitarbeit sowohl in der Koordinierungsgruppe als auch in der Ermittlungsgruppe der SUPO für Ketonen ein zu großer Brocken war. Er versprach, Erik Wredes offizielle Ernennung zum Leiter der Ermittlungsgruppe für die Morde an den Kommissaren in Erwägung zu ziehen. Mit anonymen Anrufen bei den zwei Abendzeitungen hatte der Schotte noch Wasser auf die Mühlen gegossen.
    Ketonen unterbrach das Schweigen: »Kann sein, daß du da einer Sache auf der Spur bist. Erzähle noch mehr von dem ›Block‹.«
    Wrede las seinen Kollegen Fakten aus einem Bericht über Varis und den »Global Block« vor. Varis gehörte 1997 zu den Gründern der Bewegung und war heute für ihre Aktivitäten in Europa verantwortlich. Der »Block« hatte in den letzten Jahren in auffälliger Weise an allen großen Krawallen teilgenommen: während der Konferenzen der Welthandelsorganisation WTO in Seattle und Prag, bei den EU-Gipfeltreffen in Göteborg, Laeken und Barcelona und beim Gipfel der G8-Staaten in Genf. Im Demonstrationskalender des »Global Block« waren auch Dutzende kleinerer Veranstaltungen aufgeführt.
    Der »Global Block« bekämpfte alle Faktoren der Globalisierung: die Finanzwelt, die Großunternehmen, Freihandelszonen, Staatenbünde, Gipfeltreffen, die internationalen Verträge … Der von Varis geführte europäische Flügel der Organisation übte auch scharfe Kritik an der EU, ihrer Erweiterung und der Konzentration der Entscheidungsbefugnisse. Die Spitze der Kritik richtete sich jedoch gegen die Großunternehmen und deren Macht. Man ging davon aus, daß der »Block« in den letzten vier Jahren Anschläge gegen Räumlichkeiten oder anderes Eigentum von dreißig Großunternehmen ausgeführt hatte. Über die Hälfte der Anschläge galt Banken, und Napalm wurde fast jedes Mal verwendet. »Die Anhänger des ›Global Block‹ kann man als Neoradikale charakterisieren. Sie sind bereit, Gewalt einzusetzen.« Damit beendete Wrede seine Vorlesung.
    Der Chef war anscheinend erneut in Gedanken versunken, als plötzlich das Telefon in seiner Brusttasche klingelte. »Schon wieder ein Interview, das nicht warten kann«, sagte er mürrisch und schlurfte auf den Flur.
    »Varis wird heute nachmittag um vier auf dem Flughafen Seutula abgeholt. Der Mann kommt über Stockholm aus Sevilla zurück.« Wrede hoffte, die fünfzig Mitglieder des »Blocks« würden nicht schwören, Varis habe während desganzen Aufenthalts Flamenco getanzt. Wenn die Morde an den Kommissaren mit der Verhaftung von Varis aufhörten, könnte seine Position als Nachfolger Ketonens sicher sein.
    Kuurma und Ratamo schüttelten den Kopf, als Wrede eilig das Zimmer verließ.
    »Weißt du, was für einen Menschen man als Arschloch bezeichnen kann?« fragte Ratamo.
    Riitta zog die Augenbrauen hoch.
    »Einen wie den, der gerade das Zimmer verlassen hat.«

17
    Der Sprecher der Dokumentation im Schulfernsehen redete mit onkelhafter Stimme von der römischen Geschichte. Jetzt wurden gerade die Kaiser wiederholt. Hannele Taskinen starrte auf den Bildschirm. Nach der gestrigen Psychotherapie hatte sie sich so gedemütigt gefühlt, daß sie nicht imstande gewesen war, in die Bibliothek zu gehen. Sie

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