Finnisches Requiem
Frau rumkriegen, dachte Ratamo. Wenn Seija ihn beim Fremdgehen erwischte, wäre sie nicht mehr zu besänftigen, was immer Timo auch versuchen würde.
Ratamo bestellte noch ein Bier. Zwischen ihm und dem Bierglas war kein Platz für Frauen.
DIENSTAG
16
»Die Rechtschreibung ist sehr wohl wichtig. David und Goliath kommen in einer biblischen Geschichte vor, Taavit und Koljat hingegen sind im Finnischen der Plural von Taavi und Kolja. Verdammt noch mal«, schimpfte Wrede und korrigierte mit Tinte Ratamos Fax an den spanischen Nachrichtendienst CNI. Ketonen hatte Wrede befohlen, die Besprechung der Ermittlungsgruppe auch ohne ihn zu beginnen, er selbst würde dazustoßen, sobald er Zeit hatte. Es war halb neun in der Früh.
»Das ist ja voller Schreibfehler!« Je länger Wrede Ratamos Text las, um so größer wurde sein Ärger.
Das Ledersofa im kleinen Besprechungsraum in der vierten überirdischen Etage der SUPO knarrte, als Ratamo sich drehte, Riitta grimmig anblickte und den Kopf schüttelte. Es tat gut, Riitta lächeln zu sehen. Als er ihr vorgeschwindelt hatte, er habe mit Himoaalto den ganzen Abend ein ernstes Gespräch geführt, war sie sofort versöhnt gewesen. Soweit die gute Nachricht. Nun mußte er seinen Freund allerdings wirklich zur Vernunft bringen. Das war eine äußerst schlechte Nachricht.
Ratamos Nerven waren angespannt. Der Schotte las in aller Ruhe sein Fax und fluchte. Sollte der rothaarige Kleingeist ihm befehlen, die Kommafehler zu korrigieren, dann würde er die Verantwortung für die Folgen nicht übernehmen. Die Ermittlungen zu einem politischen Doppelmord, der ganz Europa interessierte, liefen auf Hochtouren, und Wrede konzentrierte sich darauf, die Post seiner Untergebenenauf Schreibfehler zu überprüfen. Für Ketonen konnte Ratamo eigenartigerweise Respekt, ja sogar Achtung empfinden. Zwischen ihnen hatte sich ein festes Vertrauensverhältnis entwickelt, nachdem Ketonen im Winter bei den Ermittlungen im Fall »Inferno« ein Risiko eingegangen war und sich entschieden hatte, Ratamo auch dann noch zu vertrauen, als viele andere ihn verdächtigten, ein Maulwurf zu sein.
Ratamo versuchte sich zu beruhigen. Sein Mund war so trocken, daß der Priem am Zahnfleisch klebenblieb. Zum Glück hatte er gestern abend im »Storyville« noch so viel Verstand besessen, daß er nicht allzu spät nach Hause gefahren war. Dennoch hatte er nicht viel geschlafen: Fünf nach sechs schaltete Riitta das Radio an. Am Abend mußte er frisch und munter sein, denn dann würde er die Schwiegermutterkandidatin Claudia Kuurma treffen.
»Na ja. Korrigiere das nach der Besprechung.« Wrede reichte Ratamo das Fax. Der ursprüngliche Text war vor lauter Korrekturen kaum noch zu sehen.
In Ratamos Kopf rastete etwas aus. In dem Zustand erhitzte er sich so schnell wie eine Mikrowelle. Er hatte nicht die Absicht, sich von Wrede herumkommandieren zu lassen. Der Schotte war wie die Steuer: Es gab sie, obwohl keiner sie wollte.
Ratamo schaute seinen Vorgesetzten an und ging zum Faxgerät. Wrede sah mit ungläubiger Miene zu, wie Ratamo in aller Ruhe die Nummer des CNI wählte und das Fax so, wie es war, abschickte.
»Hoffentlich verstehen die Männer von der Iberischen Halbinsel deine Hieroglyphen.« Ratamo starrte seinem Vorgesetzten in die Augen. Er hatte schon immer Probleme mit Autoritäten gehabt, und einen schlimmeren Pedanten als Wrede konnte er sich nicht einmal vorstellen.
Wredes sommersprossiges Gesicht wurde feuerrot, derFarbton war noch kräftiger als der seiner Haare. Es sah so aus, als würden die zwei Männer jeden Moment aufeinander losgehen. Beide warteten nur darauf, daß der andere den ersten Schritt wagte.
»Gespielt wird erst in der Pause, Erik und Arto. Nun setzt euch mal brav hin!« Kuurma drohte ihnen mit dem Finger. Sie hätte sich am liebsten nicht in den Streit eingemischt, denn in gewisser Weise hatten beide recht.
Wrede schaute Ratamo an, als wollte er ihm versprechen, daß er die Unverschämtheit seines Untergebenen nicht vergessen würde, dann gab er Kuurma ein Zeichen, die Besprechung zu eröffnen.
»Ich habe mir den Kopf zerbrochen, warum jemand in Sevilla das Wort ›Hinta‹ an die Wand geschrieben hat«, sagte Kuurma und blickte kurz zu Ratamo hin. »Der Mörder wollte damit offensichtlich erreichen, daß die Finnen über den Hinweis nachdenken. Für die Spanier bedeutet das finnische Wort nichts.« Kuurma erzählte, daß sie Dutzende Artikel über die bekanntesten Mordfälle in
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