Finnisches Requiem
letzten zwei Stunden waren eineQual gewesen wie schon ewig nicht mehr. Die Politiker nörgelten und verlangten pausenlos Ergebnisse, und die internationale Presse attackierte bereits die Koordinierungsgruppe: Innerhalb von fünf Tagen waren drei Kommissare ermordet worden, und sie konnte nichts vorweisen. Ketonen selbst hatte auch genug von der ganzen Beamtenbagage in der Koordinierungsgruppe. Umzingelt von Faxgeräten und Telefonen, saß sie im Ständehaus und wartete darauf, daß die Behörden irgendeines Landes etwas herausfanden. Als ihm dann noch der Staatssekretär im Innenministerium von Wredes Bemühungen hinter seinem Rücken erzählte, war das der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte. Er mußte selbst die Ärmel hochkrempeln, sonst kamen diese Ermittlungen nicht im notwendigen Maße voran.
Es wurde so still, daß man sogar ein Augenzwinkern hören konnte. Kuurma und Ratamo blickten sich verstohlen an. Ihre Augen glänzten vor Freude. Anscheinend war Ketonen wieder ganz der alte. Der Chef.
Als Wrede wieder seine normale Gesichtsfarbe hatte, erlaubte Ketonen ihm, die Beratung zu eröffnen.
Wrede verteilte die Zusammenfassung des italienischen SISD an seine Kollegen und bat sie, den Bericht zu lesen. Der Schotte wartete, bis der Chef ihn anschaute. »Jetzt kommen die Ermittlungen in Gang. Zwei Angreifer sind in Capri verwundet worden. Der SISD verfügt über genügend Blut für eine DNA-Analyse. Außerdem hat ein Jogger das unmaskierte Gesicht eines Killers gesehen. Im Moment wird ein Phantombild des Mörders angefertigt.« Damit beendete Wrede seinen Bericht schon.
Er versuchte sich zusammenzunehmen. Die Enttäuschung traf ihn hart, dazu kam die Müdigkeit. Er hatte die letzten vier Tage rund um die Uhr geschuftet. Verdammt, warum hatte er sich dazu hinreißen lassen, den Leiter der Polizeiabteilung anzurufen, um die Sache zu beschleunigen?Ihm hätte doch klar sein müssen, daß Ketonen davon erfahren würde. In der Polizeiführung breiteten sich die Informationen aus wie die Pest in einem Bade. Wenn Ketonen sich jetzt seiner Ernennung widersetzte, wäre er erledigt. Hatte er sich seine Zukunft versaut? Er mußte in Ruhe über die Situation nachdenken. Eines hatte er immerhin gelernt: Es war besser, den Mund zu halten, wenn man bis über die Ohren in der Scheiße steckte.
Ratamo unterbrach Wredes Gedankengänge. »Wie zum Teufel konnten die Männer von Capri fliehen. Das ist doch eine Insel. Und zwei von ihnen waren verwundet.«
»Die Mörder sind rechtzeitig bei ihrem Boot gewesen und dann auf dem Meer verschwunden«, erwiderte Wrede angespannt. »Ihr Boot war schneller als die der Carabinieri, und bis zum Festland ist es nicht weit. Die Schiffe der Küstenwache oder der Marine kamen zu spät, um noch die Verfolgung aufzunehmen.«
Jetzt war Kuurma an der Reihe. Es stellte sich heraus, daß einer der Mörder auch in Capri seine Visitenkarte hinterlassen hatte. »In den Schaft des Pfeils, mit dem der Polizist hinter van den Brinks Haus getötet wurde, war ein Zeichen eingeschnitzt«, sagte sie und verteilte ein Bild an ihre Kollegen.
Da sie nun wüßten, was sie suchen mußten, sei es für Loponen leicht gewesen, die Bedeutung des Symbols zu ermitteln, erzählte Kuurma. Er hatte das Bild einem Dozenten für finnische Geschichte an der Universität Helsinki gezeigt, der hatte eine Weile in Büchern geblättert und ihm dann erklärt, bei dem Symbol handele es sich um das Namenszeichen von Jaakko Ilkka.
Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, wußten Ketonenund Ratamo, wer Jaakko Ilkka war. Wrede bemühte sich, einen gleichgültigen Eindruck zu erwecken.
»Das Drama des Finnen, der gegen einen Eroberer kämpft, wiederholt sich also«, verkündete Kuurma und referierte über den Keulenkrieg, der ein Aufstand der finnischen Bauern gegen die schwedischen Eroberer und ihre finnischen Vasallen war. Jaakko Ilkka gehörte zu den führenden Gestalten des Bürgerkriegs. Ende 1596 und Anfang 1597 wurden innerhalb von drei Monaten anderthalb Prozent der finnischen Bevölkerung getötet, in der Relation fast genausoviel wie während des Zweiten Weltkriegs. Die Armbrust war im Keulenkrieg eine beliebte Waffe. »Heute abend bekomme ich einen neuen Bericht von Kate Harris«, sagte Kuurma. »Ich vermute, diese ›Unterschrift‹ auf dem Pfeil wird ihre bisherigen Auffassungen bestätigen.«
Kuurma verstummte, als Sotamaa, ohne anzuklopfen, hereinkam, Wrede einen Papierstapel reichte und erklärte, die
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