Finnisches Requiem
Reimers Sakko aus Kaschmirwolle funkelten, und an seinen Ringen befanden sich mehr Diamanten als im Tower.
Das ist das berühmte Stilgefühl der Reichen, dachte Jugović. Wenn es nach dem Geruch ging, dann schien Reimer in Rasierwasser zu baden. Wieviel Kilo Wurst mochte sich Reimer täglich in den Wanst stopfen? Die Wangen des Schweizers hingen schlaff herab, und sogar seine Tränensäcke hatten ein Doppelkinn. Jugović überlegte, was es wohl für ein Gefühl war, so häßlich zu sein. Wenn Reimer abnehmen und etwas für sein Äußeres tun würde, könnte er dem Typ des harten Mannes nahekommen. Manchen Frauen gefiel dieser Stil. Sein serbischer Charme gefiel allen.
Jakob Reimer war im Juli wie auf Bestellung in sein Leben getreten. Der Schweizer hatte ihm fünf Millionen Dollar für die Ermordung von vier Kommissaren geboten. Beim ersten Treffen hatte Jugović die Rolle des vorsichtig Interessierten gespielt: Er wollte zunächst Reimers Hintergrund bis ins kleinste Detail überprüfen. Jakob Reimer war Anfang der neunziger Jahre bei einem Konkursvergehen erwischt unddaraufhin aus dem Schweizer Anwaltsverein ausgeschlossen worden, seitdem vertrat er nur noch Kriminelle. Reimer galt als intelligenter und zuverlässiger Mann, der nur große Aufträge übernahm.
Jugović hatte Reimers Angebot angenommen und anschließend mit Hilfe seiner Kontakte einen Genfer Anwalt engagiert. Die beiden Juristen arbeiteten einen Escrow-Vertrag aus, mit dem fünf Millionen Dollar auf die Credit Suisse überwiesen wurden. Der Auszahlungsauftrag für das Geld mußte sowohl von ihm als auch von Reimer oder einer von ihnen bevollmächtigten Person unterschrieben werden. Die Bank verpflichtete sich, das Geld entweder in bar auszuzahlen oder auf jede beliebige Bank der Welt zu überweisen, sofern die Zahlungsanweisung vor dem 30. September einging. Wenn es dem Exekutionskommando gelang, die Kommissare gemäß dem Zeitplan zu ermorden, würden Jugović und Reimer die Zahlungsanweisung unterschreiben und Jugović bekäme das Geld. Keiner konnte das Geld allein abheben. Sie waren gezwungen, einander zu vertrauen.
Jugović hatte Reimer am Morgen dieses Treffen vorgeschlagen, weil er spürte, daß sich die Schlinge um seinen Hals zuzog. Nach der Katastrophe von Capri war das Maß voll. Durch die Pfuscherei des Exekutionskommandos drohte sein Projekt zu scheitern. Zwei Mitglieder der Gruppe waren verwundet, und eins hatte man außerdem noch unmaskiert gesehen. Es schien nur eine Frage der Zeit, wann einer von ihnen verhaftet wurde. Zu alledem hatte er auch noch vom NBH erfahren, daß irgendeine finnische Frau Informationen über die Anschläge ausplauderte und daß die finnische Sicherheitspolizei einen Verbindungsmann nach Budapest schicken wollte. Drina war treu, das wußte er, aber irgendwo hatte auch Drinas Zuverlässigkeit ihre Grenzen. Jugović fürchtete, der NBH könnte Drina so ausquetschen, daß er seinen Namen verriet, odermöglicherweise brachte der finnische Ermittler seinen Landsmann zum Sprechen.
Er wußte, daß er in Lebensgefahr schwebte: Wenn die anderen Führer von »Krešatik« auch nur den geringsten Hinweis erhielten, daß er die Organisation überging und allein kassieren wollte, würde er sofort hingerichtet. Auf Verrat stand die Todesstrafe, ohne Ausnahme. Die kriminellen Organisationen hatten keinen anderen Rechtsschutz als die unbedingte Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit ihrer Mitglieder.
Ein zweiter Pflaumenschnaps sorgte dafür, daß sich sein Puls beruhigte. Jugović füllte sein Glas sofort wieder bis zum Rand und schaute sich um. Die Tische, Stühle und Fußböden der Gaststätte im Stil einer alten Weinstube bestanden aus unlackiertem Holz, als Wanddekoration dienten Schwarzweißfotos vom Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Der Saal sah aus wie ein wogendes Menschenmeer. Musik war nicht zu hören, das gleichmäßige Stimmengewirr wurde nur gelegentlich von einem Lachen oder einem Ausruf unterbrochen.
Reimer verabschiedete sich von seinem Gesprächspartner und schaltete sein Telefon aus. Jetzt mußte Jugović überzeugend wirken, Unsicherheit würde Reimer nicht gern sehen.
»Der vierte Mord muß verschoben werden. Ich will das Exekutionskommando auswechseln«, sagte Jugović auf englisch in einem Ton, als gäbe es daran nicht den geringsten Zweifel. Er kostete den Slibowitz und atmete durch den Mund aus, damit das Brennen nachließ.
Reimer räusperte sich. »Der Vertrag ist äußerst eindeutig. Eine
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