Finnisches Roulette
Zinsen stiegen explosionsartig auf fünfzehn Prozent im Monat, und die Schuldensumme wuchs immer weiter. Da hatte sich Rossi nach Finnland abgesetzt.
Sami Rossi erzählte die Geschichte seiner Frau und kümmerte sich nicht darum, daß Ratamo daneben stand. Laura hörte ihrem Mann zu, und ihr Gesichtsausdruck spiegelteabwechselnd ungläubiges Staunen, Trauer und Enttäuschung wider.
»Vor einem Monat tauchte Konrad Forster in Helsinki auf. Er hat versprochen, meine Schulden zu übernehmen und mir außerdem einen Bonus von zwanzigtausend Euro auf die Hand zu zahlen, wenn ich einen Auftrag erledige. Woher Forster von meinen Schulden erfahren hat, weiß ich immer noch nicht. Er hat mir versichert, daß er sich um den russischen Zinswucherer kümmern würde, wenn ich zur Zusammenarbeit bereit wäre. Von dem Mord an Berninger habe ich vorher nichts gewußt, und ich hatte auch keine Ahnung, daß du erpreßt und ermordet werden solltest. Eine Gefälligkeit hat Forster erst verlangt, als ich aus der Untersuchungshaft entlassen wurde … Deshalb habe ich dich gebeten, nach Verona zu kommen – das war meine Gegenleistung Forster gegenüber«, erklärte Rossi Laura, die auf das Gehörte überhaupt nicht reagierte.
»Ich hatte keine Alternative. Und ich wollte nichts Kriminelles tun. Auch ein Heiliger hätte Forsters Angebot nicht abgelehnt, der Mann versteht es, jemanden zu überreden. Ich erinnere mich noch genau, was er gesagt hat: ›Entweder du bist auf unserer Seite, oder du bist gegen uns.‹ Dann hat er seinen Zeigefinger wie eine Waffe an die Schläfe gesetzt und gelächelt. Forster wußte alles von mir, von dir und von Eero.«
Sami schaute Laura an, und endlich erwiderte sie seinen Blick. »Ich wäre auf all das nicht eingegangen, wenn ich gewußt hätte, daß du deswegen leiden mußt oder …«
Samis Rechtfertigung wurde unterbrochen, Eero Ojalas Arzt betrat das Zimmer.
Als Laura den Gesichtsausdruck des Arztes sah, begriff sie sofort, daß ihr Bruder gestorben war. Sie brach in Tränen aus und weinte immer noch, als Ratamo ihr aus dem Taxi half und sie ins Hotel führte.
40
Konrad Forster wippte unruhig auf der Kante des Sitzes auf und nieder, als wollte er die Fahrt des Taxis beschleunigen. Sie waren schon in Bockenheim. Vermutlich hatte er mehr Nutzen aus dem zweistündigen Verhör gezogen als die Polizei. Forster wußte jetzt, daß man ihn mit Kraków und Verona in Verbindung bringen konnte. Gott sei Dank war er klug genug gewesen, das Anmieten der Büros und das Treffen im Garten Giardino Giusti an die »Debniki«-Leute zu delegieren. Angst hatte er wegen Anna. Eero Ojalas Aktien lagen nun im Tresor irgendeiner Anwaltskanzlei in Verona. Sein Plan war gescheitert und Annas Zukunft zerstört, alles brach zusammen.
Der Fahrer bekam seine Euro, und Forster eilte zur Villa Siesmayer und holte die Schlüssel aus der Tasche. Wohin er auch schaute, überall schien er gegen eine Mauer zu stoßen, aber Forster wollte noch nicht aufgeben. Vorläufig besaß die Polizei nur die Aussage des Ehepaars Rossi, daß er hinter allem steckte. Handfeste Beweise fehlten, die konnten nur die Männer von »Debniki« den Behörden liefern, und die Polen würden niemals singen. Dennoch hatte er Angst vor den Verhören, die am nächsten Tag weitergehen sollten. Wer kümmerte sich um Anna, wenn man ihn verhaftete?
In der Diele warf Forster seine Tasche in die Ecke und rannte im Laufschritt durch das Fernsehzimmer, Annas Schlafzimmer, die Bibliothek und das Eßzimmer. Saß Anna zu dieser späten Stunde noch im Vogelzimmer? Oder war etwa das Schlimmste eingetreten? Während der ganzen Zeit ihrer Krankheit hatte Anna versichert, daß sie ihrem Leben selbst ein Ende setzen würde, wenn man kein Medikament gegen ALS fand. Deshalb hatte Werner so enorme Summen in dieses Forschungsprogramm gesteckt.
Forster holte tief Luft, ihm wurde ganz flau im Magen,als er vorsichtig den Öffner der gläsernen Schiebetüren drückte.
»Ich, ich, ich … Konrad!« Eos, die auf der Armlehne von Annas Rollstuhl saß, flog auf, und Tithonus stimmte in ihre Rufe ein.
Forster starrte auf den Rollstuhl. Annas dunkelrotes Seidenkleid fiel faltenlos bis in ihren Schoß. Auch das tadellose Make-up konnte die Wahrheit nicht mehr übertünchen: Anna war in den letzten Tagen um Jahre gealtert. Ihre Haut sah aus wie eine dünne Folie, und das Haar wirkte noch spröder als zuvor. Ihr Kopf lag schief auf der Nackenstütze, dann drehte er sich langsam. Forster
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