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Finnisches Roulette

Finnisches Roulette

Titel: Finnisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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seufzte erleichtert. »Ich hatte schon Angst, daß …« Die Worte rutschten ihm versehentlich heraus.
    »Hattest du Angst – oder hast du es gehofft?« fragte Anna mit schwacher Stimme. Ihre Hände zitterten. Sie war nicht fähig, zu essen oder zu schlafen, so müde und wertlos fühlte sie sich das erstemal. Sie würde unter der Last ihrer bösen Taten zerbrechen. Vor Jahrzehnten hatte sie Konrad unglücklich gemacht und sich somit in gewisser Weise schon damals selbst zerstört. Sie selbst war es gewesen, die ihm den Grund für seine Rache geliefert hatte.
    »Glaubst du immer noch, daß ich ein Verräter bin? Ich versuche doch mein Bestes zu tun, damit …«, erwiderte Forster, aber Anna unterbrach ihn mit einem zornigen Blick. »Deine Mißerfolge sind Absicht. Es tut mir leid, aber ich gedenke nicht, deinen nächsten Schachzug abzuwarten. Ich habe für morgen früh eine Besprechung anberaumt und hoffe, du kommst um neun ins Vogelzimmer.« Anna wandte ihren Kopf ab, hob die Hand von der Armlehne des Rollstuhls und wies in Richtung der Vögel.
    Auf dem Boden lagen Teile der Knabberäste, Samen und zur Hälfte gefressene Früchte. In Gefangenschaft zerhackten die Kakadus das Holz zu ihrem Zeitvertreib und speistengenauso verschwenderisch wie in der Natur. Forster säuberte den Boden, breitete saubere Erde aus, wischte mit Papier den größten Teil des Kots von den Ästen und füllte die Wasserschale der Vögel. Erschütterung, Verbitterung und Trauer wogten in ihm auf und ab. Anna hielt ihn immer noch für einen Verräter, obgleich er alles getan hatte, um ihr zu helfen. War Annas Seele durch den Mord an Berninger zerbrochen, lag die Schuld bei ihm? Warum hatte er die Zeichen ihrer zunehmenden Verwirrung nicht rechtzeitig bemerkt? Überraschend nahm jetzt ein Gedanke klare Konturen an, der ihm schon seit ein paar Tagen durch den Kopf schwirrte, sich aber nie in Worte fassen ließ: Irgend jemand war stets im voraus über jeden seiner Züge informiert. Also mußte jemand etwas verraten haben. Nur er und Anna kannten den ganzen Plan, auch die Männer von »Debniki« wußten nicht alles. Forster beugte sich über Anna. »Wem hast du den Plan verraten?«
    »Sabine. Sie hat von Anfang an alles gewußt, in der ganzen Zeit deines Verrates«, flüsterte Anna stolz.
    Forster stand da wie vor den Kopf geschlagen. Gerade Sabine lehnte doch alle Forschungsprojekte ab, die von Anna betrieben wurden. Hatte Anna selbst ihre Zukunft zerstört, indem sie Sabine von dem Plan erzählte? Forster begriff, daß sich Anna endgültig in die Welt der Phantasien verirrt hatte. Dieses ausdruckslose, erstarrte Gesicht gehörte nicht dem Menschen, den er anbetete. Mitleid vermischte sich mit Enttäuschung. War Anna für ihn und seine Hilfe schon unerreichbar?
    Anna versuchte ihr Gesicht Konrad zuzuwenden, war aber mit ihren Kräften am Ende. »Sabine hat mich nach Werners Tod besucht. Sie war so freundlich und hat gesagt, sie wolle nur mein Bestes. Sabine ist vom gleichen Fleisch und Blut wie Werner und würde mir nie etwas Böses antun. Sie hat versprochen, ein Medikament gegen ALS zu finden.«
    Forster begriff, daß Sabine die kranke Anna hereingelegt hatte. »Nur ich versuche …«
    »Du hältst mich für verrückt, weil ich an die Gentechnologie und das ewige Leben glaube.« Anna wurde wütend, und das kräftigte ihre Stimme.
    »Liebe Anna. Das ist … unnatürlich.« Forster bereute seine negativen Worte sofort.
    »Wieso? Wir sind ein Teil der Natur, und wenn die Natur uns die Fähigkeit gibt …« Anna versagte die Stimme, und sie drückte auf den Öffner der Schiebetür, der an der Armlehne des Rollstuhls befestigt war. Ihre Augenlider fielen zu, und ihre Gedanken wanderten zurück zu jenem Abend, als sie im Mondschein in einem Oberstdorfer Gebirgssee geschwommen waren. Im eisigen Wasser des Freibergsees wurden sämtliche Glieder taub vor Kälte, aber nach dem Bad hatten sie und Werner sich gegenseitig erwärmt. Nun, da alles vorbei war, wäre Anna am liebsten endgültig in ihren Erinnerungen versunken. Wo sollte sie für ihren morgigen Auftritt Kraft schöpfen?
    Forster wußte nicht, was er Anna noch sagen sollte, also zog er sich lautlos zurück und spürte die Bitterkeit der Niederlage. Er blieb auf dem dicken Perserteppich im Salon stehen und sah, daß die Rosen in der kleinen Alabastervase die Köpfe hängen ließen. Einige der Glasvögel glänzten nicht mehr richtig, weil sie eingestaubt waren. Er beschloß, die Putzfrau ein

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