Finnisches Roulette
Biotechnologie hat doch wohl auch einen Nutzen?« entgegnete Laura, die aufzuleben schien.
»Aber natürlich. Für schwere Krankheiten werden neue Medikamente entwickelt, und die Behandlung der Kinderlosigkeit wird wesentlich erleichtert«, faßte Ratamo zusammen.
»Na also. Du kannst ja doch positiv denken, wenn dich jemand in die richtige Richtung schubst«, neckte ihn Laura.
Ratamo kümmerte sich nicht um die Spitze. »Auch positive Dinge haben ihre Gefahren. Ich fürchte, die Entwicklung bei der Behandlung der Kinderlosigkeit führt dazu, daß in Zukunft ein Kind wie ein Auto angeschafft wird. Eingelagerte Eizellen und Sperma werden auf der Grundlage der Eigenschaften des Erbgutes, das sie enthalten, verkauft. Dann leiht man die Gebärmutter irgendeiner Frau aus, die Geld braucht, oder das Kind wird in einer künstlichen Gebärmutter aus Glas aufgezogen. Auch das Klonen wird bald viele Umwälzungen auslösen.«
»Das habe ich auch gelesen«, sagte Laura voller Interesse. »Sowohl Aborte als auch Kindestötungen ließen sich vermeiden, wenn das Geschlecht des Kindes im voraus gewählt werden könnte. Dutzende Millionen neugeborene Mädchen sind in China während der letzten Jahrzehnte ermordetworden. Und wenn man Krankheiten schon vor der Geburt des Kindes herausfindet, dann würde das die Morde an krank geborenen Kindern verhindern.«
Ratamo war von Lauras Kenntnissen überrascht. Dann fiel ihm ein, daß die Frau Lehrerin war. »Ich fürchte nur, daß die genetische Manipulierung von menschlichen Embryos zu einem Wettrüsten auf dem Gebiet der erblichen Eigenschaften führen wird. In der Natur siegt auf lange Sicht derjenige, der am besten angepaßt ist, aber in der vom Menschen manipulierten Welt wird der Stärkste und Skrupelloseste gewinnen.«
Laura wollte noch etwas fragen, doch da erschien der Kellner. Ratamo stellte er eine mit Tomaten-Rotwein-Soße gefärbte Portion Pasta nach Art des Hauses mit Schweinefleisch und Champignons hin, und Laura bekam ihre dampfende Lasagne mit Meeresfrüchten.
Beim Essen fanden sich dann und wann ihre Blicke. Ratamo überlegte, ob in Lauras Augen irgendeine Botschaft zu lesen war. Unter anderen Umständen hätte es zwischen ihnen sicherlich gefunkt.
34
Jürgen Brauer fuhr die Kaiserstraße entlang und überlegte, ob der Wolkenkratzer direkt vor ihm der Eurotower, der Silver Tower oder vielleicht die Zentrale der Commerzbank war. Die Laubbäume am Rand der zweispurigen Straße sahen vor dem Hintergrund der gewaltigen Türme des Frankfurter Bankenviertels wie Zahnstocher aus. Brauer kam gerade von seinem Treffen mit Dr. Herbert Drumm, dem Anwalt der Future Ltd.
Der Jurist war in bezug auf Informationen so unnahbar gewesen wie die Jungfrau von Orleans. Drumm hatte nurerzählt, daß Future Ltd. kürzlich fast die Hälfte der Aktien von H & S Pharma gekauft hatte und daß die Firma einem geachteten Großfinanzier gehörte. Als es um die Nationalität des Mannes ging, hüllte sich Drumm in Schweigen, trotz Brauers direkter Nachfrage, ob er aus dem Nahen Osten kam. Auch die wiederholte Frage, aus welchem Grunde Future Ltd. die Aktien von H & S Pharma gekauft hatte, war vergeblich gewesen.
Brauer strich über seinen Schnurrbart und bog in die Adickesallee ein. Er hatte den Verdacht, daß Dr. Drumm mehr über H & S Pharma wußte als die Polizei von vier Ländern.
Plötzlich entdeckte er einen freien Parkplatz. Als er bremste und rückwärts in die Lücke fuhr, kreischte hinter seinem BMW die Hupe eines Volkswagens, der eine Notbremsung machen mußte. Er bat den VW-Fahrer mit einem Winken um Entschuldigung, warf die Parkerlaubnis auf das Armaturenbrett seines Wagens und lief zum Eingang des Frankfurter Polizeipräsidiums.
Der kleingewachsene, jugendlich wirkende Dr. Herbert Drumm trug Jeans von Armani und ein T-Shirt von Moschino und sah ganz und gar nicht aus wie ein eiskalter Geschäftsanwalt, der im Niemandsland zwischen legalen und illegalen Geschäften lavierte. Die modisch zerzauste Frisur ergänzte das auf nachlässig gestylte perfekte Outfit. Er saß im Eckzimmer der Anwaltskanzlei Drumm & Partner und griff zum Telefon. Vor zehn Minuten war der BND-Ermittler Jürgen Brauer nach ihrem Gespräch wieder gegangen.
Oberst Saul Agron meldete sich mit mürrischer Stimme, bat den Juristen, sofort zur Sache zu kommen, und drehte den Ton des Fernsehers ab. Er sah sich in seinem Arbeitszimmer im Main-Tower gerade eine Dokumentation der BBC über den letzten Irak-Krieg
Weitere Kostenlose Bücher