Finns Welt - 02 - Finn reloaded
sich zu meiner Mutter umgedreht und gesagt: ›Och, nö, Sabine, ganz ehrlich. Ich bin Drucker und Buchbinder. Ich muss hier doch nicht stinkende Mäusescheiße aus dem Putz kratzen! Hat Johannes Gutenberg jemals Mäusescheiße entfernt?‹«
»So kann sich dein Vater aufregen?«
»Klar. Erst hätte er gesagt: ›Ich mache das, Sabine! Keine Sorge!‹ So voll heldenmäßig. Und dann wäre das erste Stück Mäusekacke vor seine Füße gekullert und er hätte schon die Schnauze voll gehabt.«
»Mein Vater hätte das von vorneherein niemals selbst gemacht«, sagt Lukas. »Er hätte seine Angestellten mitgebracht, auf die Fensterbank gezeigt und sich dann in den Garten gestellt. Mit einer Tasse Kaffee. Und dann hätte er da so gestanden, ganz gemütlich, Marek und Daniel bis zum Hals in der Mäusescheiße. Und Papa hätte alle drei Minuten die Hand von der Tasse gelöst, auf irgendeine Ecke gezeigt und gesagt: ›Ey, Daniel, da ist noch so ein Kotstäbchen!‹«
Flo fliegt mit seinem Quad durch die Landschaft, neblige Täler im Hintergrund, und lacht: »Dein Vater hätte niemals Kotstäbchen gesagt.«
»Ist aber ein geiles Wort, oder? Die sehen doch genauso aus. Wie die kleinen Stäbchen, die man den Fischen ins Wasser wirft, nur eben aus Mäusekacke.«
Flo landet, eine Kurve kommt und er rammt kurz gegen einen Stahlblock, der in der Landschaft steht. Er sagt: »Wolfgang hätte das damals auch alles selbst versucht, um meine Mutter glücklich zu machen. Aber er wäre schon daran gescheitert, die Fensterbank mit dem Meißel abzuschlagen, ohne dass sie dabei kaputtgeht.«
»Das war stark, oder?«
»Ja. Einfach so einen Meißel drunter, an den richtigen Stellen klopfen, und plötzlich ist so eine Fensterbank vom Fenster ab. Ich meine – dass so was überhaupt möglich ist.«
Lukas verschluckt sich an einem Mandarinenstück. Wenn er spontan lacht, werden seine Augen kurz zu Schlitzen. Es sieht dann aus, als hätte jemand einen asiatischen Smiley gemalt, der richtig viel Spaß im Leben hat. Auch wenn er freiwillig Mandarinen statt Haribo mampft, weil er für die Talentsucher beim Fußball fit bleiben will. »Warum soll es denn nicht möglich sein, eine Fensterbank abzuschlagen, Flo?«, fragt er.
Flo springt erneut über einen Hügel. In der Luft macht seine Figur einen Stunt. Sie streckt das rechte Bein über den linken Rand des Quads. »Weil das doch alles immer schon so ist. Ich meine …«
»Du meinst, Häuser waren immer schon so, wie sie da stehen? Ja, ist ja klar, dass du das denkst. Die wurden einfach aus dem Level-Editor genommen und fertig hingestellt. Die wachsen einfach so. Man muss nur einen Haussamen streuen. Deswegen sehen hier im Viertel auch alle Häuser gleich aus. Jetzt verstehe ich das! Da gibt es einen Samen für Einfamilienhäuser mit Garten, der wird verweht, landet irgendwo und – wupp! – ein Jahr später ist das nächste Haus gewachsen.«
»Ja, ja …«
»Wolfgang hätte das auch alles geschafft«, sage ich und sehe, wie Flo lächelt, obwohl ich nur auf seinen Hinterkopf schaue. Er hechtet mit dem Quad über eine Art Klippe und fliegt in ein Tal hinein. Der ganze Horizont ist nun eine Bucht mit Hafenstadt und Bergen drum herum. Das Quad landet hundert Meter tiefer und fährt einfach weiter.
»Aber eines hätte nicht mal Wolfgang gemacht«, sagt Flo.
»Was?«
»Den Hartriegel woanders einzupflanzen, statt einfach in die Biotonne zu werfen.«
»Ja«, sagt Lukas und springt auf dem Bett auf, sodass die Mandarinenschalen von der Matratze fliegen. »Das war ja wohl krass, oder?«
Das war es wirklich.
Heiner hat den wild gewachsenen Baumstrauch ganz behutsam aus dem Rand von Teich und Teichweg ausgegraben und vorsichtig hochgehalten. Erde rieselte aus den vielen kleinen Wurzelfäden. Sophia stand hinter dem Fenster, wie in all diesen Tagen. Eine Tasse Tee in der Hand und den Buddha hinter sich, beobachtete sie das Treiben im Garten mit einem Blick, als könne sie das alles nicht glauben. Als träume sie nur, dass ein Mann kommt und nicht nur riecht, was sie riecht und die Ursache entfernt, sondern endlich auch all das erledigt, was seit Monaten zu erledigen war. Und dieser Mann, Heiner, der ging nun mit einem aus dem Rand gerissenen Baum auf die Terrasse zu, winkte Sophia höflich aus dem Wohnzimmer und fragte: »Wo pflanzen wir den hin?« Diese Frage überraschte sogar Sophia, die Beschützerin der Fliegen und Ameisen.
»Wieso?«, fragte sie und Heiner sagte: »Na, das ist doch ein
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