Finns Welt - 02 - Finn reloaded
gehen wir eben allein«, sage ich.
»Über Nacht? Da schicken uns unsere Eltern die Polizei des ganzen Landes hinterher.« Ich setze mich neben Flo und lege die Hände in den Schoß. Jung sein ist echt Mist. Mathe muss man können, aber dürfen darf man nichts.
Ein Grollen ertönt am Ende der Straße. Ein Motor wie von einem Tanker. Es ist der Pick-up von Heiner. Er hält vor uns, die Reifen groß wie Kleinstädte. Auf der Ladefläche liegen gut verschnürte Bretter. Heiner streckt Kopf und Ellbogen aus dem Fenster. »Jungs, was ist los? Sitzt ihr seit heute auf der Straße?«
»Was sind das für Bretter?«, fragt Flo, springt auf und zeigt auf die Ladefläche.
»Das ist Eichenholz der Resistenzklasse 2. Damit zimmern wir den Boden des Baumhauses.« Heiner steigt aus. Seine Tür knirscht wie die Klappe eines Panzers. Er läuft um den Wagen. »Aber das Beste ist: Die Wände und das Dach, die bauen wir später aus Ästen und Stämmen echter Bäume. Das sieht viel rustikaler aus. Viel mehr Atmosphäre. Da sitzt man drin, als hätte man sich eine Höhle im Wald errichtet. Und wo sammeln wir die Äste und Stämme? Morgen, beim Zelten. Da kommt man in Schwung.«
»Moment mal«, sagt Flo. »›Morgen, beim Zelten‹?«
»Ja, sicher.«
»Dann weißt du noch gar nichts davon, dass die anderen Väter keine Zeit haben?«
»Doch, doch«, sagt Heiner, öffnet die Ladeklappe und beginnt, die ersten Bretterbündel abzuladen. »Aber ich ziehe grundsätzlich durch, was ich mir vorgenommen habe. Wenn ich jedes Mal darauf warten würde, dass andere bereit sind, käme ich nie zum Leben. Wir sind doch einzelne Menschen und keine Körperteile, die aneinanderkleben, oder?« Lukas zeigt auf Heiner, als wolle er sagen: Habt ihr das gehört?
Heiner trägt die erste Ladung Bretter in den Garten und legt sie ab. Er küsst Sophia, die lautlos über die Terrasse herbeischwebt. »Heute wird’s im Garten wieder etwas lauter, mein Engel«, sagt er und es wirkt, als glitzerten Sophias Augen ein wenig, als sie begreift, dass das Baumhaus weitergebaut wird.
»Ihr habt doch Lust, Jungs? Oder?« Flo stellt sich zu Heiner, als hätte ihn beim Völkerball endlich mal jemand gewählt. »Dann fällt die Wahl wohl leicht«, lacht Heiner, zieht ein paar Arbeitshandschuhe aus der Seitentasche seiner Hose und wirft sie uns zu. Sophia schwebt wieder ins Haus.
»Wir holen die anderen Bretter«, sagt Flo, aufgeregt wie ein kleiner Junge. Sein Baumhaus wird endlich weitergebaut. Lukas und ich ziehen die Handschuhe über und gehen los. Flo folgt uns, aber Heiner hält ihn an der Schulter und fragt: »Florian?«
»Ja?«
»Hast du da eben ›die anderen Väter‹ gesagt?«
Flo schluckt. Das hat er gesagt. Die anderen Väter. Heiner lächelt wie ein Mann, der nach Jahren der Gefangenschaft das erste Mal das Meer sieht. Er drückt Flo kurz an sich und lässt ihn dann los, Bretter holen.
DAS FEUERBOHREN
Unsere Eltern sagen oft: »Ich denke, ihr wollt wie Erwachsene behandelt werden?« Dann fügen sie ein »Also!« hinzu und verlangen, dass wir unser Zimmer aufräumen. Heiner sagt solche Sätze nicht. Er behandelt uns tatsächlich wie Erwachsene! Zehn Stunden hat er gestern mit uns am Baumhaus gezimmert. Zehn volle Stunden! Er fragt sich nicht, ob wir dafür genug Kondition haben. Er macht einfach immer weiter, die blauen Augen wach auf den Brettern. Messen, sägen, anlegen, nageln. Ohne Pause. Ein Schluck Wasser, ein Keks, weiter. Er lässt uns Bretter auf der Kreissäge zerteilen, die Finger ein paar Zentimeter neben dem mörderischen, kreischenden Blatt. Er hat Schutzhandschuhe aus Kettengliedern mitgebracht, wie sie früher die Ritter trugen. Ein gefundenes Fressen für Lukas’ übliche Lästereien: Flo, der Knappe, und Lady Sophia aus dem Drachental. Am Abend fielen wir so erschöpft ins Bett wie nach einem Marathon, aber heute Morgen standen wir trotzdem bei Sonnenaufgang an den Fenstern und warfen uns gegenseitig im Tausch Frühstücksobst in die Fenster. Birne gegen Banane. Apfel gegen Kiwi. Der Unterbau und Boden des Baumhauses ist fertig. Gleich sammeln wir das Holz für die Wände und das Dach. Wir fahren im Auto von Heiner und freuen uns darauf. Der Pick-up hat eine zweite Bank im Cockpit. Der Wagen wirkt so mächtig, als fahre er nicht über die Straße, sondern als stehe er auf der Stelle und drehe die Erdkugel unter seinen Reifen. Wir haben Werkzeug auf der Ladefläche, ein großes Zelt aus Armeebedarf, Schlafsäcke … Heiner hat einen
Weitere Kostenlose Bücher