Finster
setzte mich wieder aufs Sofa.
»Aber es wird sozusagen genau nach deinem Geschmack sein. Reißerisch, brutal, eklig und banal.«
»Danke. Wenn das so ist, muss ich es unbedingt hören.«
»Ich weiß.«
»Falls es wirklich eine so gute Geschichte ist, solltest du vielleicht warten, bis Eileen hier ist.«
»Das wäre ziemlich unpassend.« Er wickelte die Fliege um seinen Hals und begann, sie zu binden. »Es ist nur für deine Ohren bestimmt.«
»Bist du sicher, dass du es mir erzählen willst?«
»Wir hätten dann schließlich alle beide Geheimnisse zu bewahren, nicht nur ich allein.«
»Du hast gesagt, ich könnte darüber schreiben.«
»Irgendwann einmal.«
Ich sah auf meine Armbanduhr. Viertel vor fünf. »Vielleicht solltest du es einfach lassen.«
»Nein, ich bestehe darauf.« Er trank einen Schluck Wein, ehe er fortfuhr. »Ich nehme an, die Voraussetzungen sind dir vertraut: der überempfindliche vaterlose Junge mit der unnachgiebigen Mutter, in der Schule wird er von den Neandertalern schikaniert, er sucht Zuflucht in der Sicherheit der Bücher. Alles ziemlich abgedroschen und vorhersehbar …«
Ich trank einen Schluck Wein und wünschte, ich wäre irgendwo weit weg.
Wenn ich Glück hätte, würde Eileen jetzt gleich kommen.
»Ich konnte in der Schule kein einziges Mal einen Flur entlanggehen«, sagte er, »ohne dass jemand mir ein Bein stellte, mich anrempelte oder mir die Bücher aus der Hand schlug. Während der Pausen und dem Mittagessen war es ein großer Spaß, mich zu packen und in einen Mülleimer zu werfen. Manchmal sind ein paar Sportskanonen über mich hergefallen, haben mir meine Hose ausgezogen und sind damit abgehauen. Natürlich wurde ich auch regelmäßig verprügelt. Kurz gesagt, ich wuchs ohne Freunde auf, traute niemandem, fürchtete und hasste meine Quälgeister. Nicht sehr anders als die Kindheit unzähliger anderer Burschen.«
»Ich kenne ein paar davon«, sagte ich. Während meiner Schulzeit hatte ich auf der sozialen Leiter nur eine
oder zwei Stufen höher gestanden, und ich war mit Leuten befreundet, die schlechter dran gewesen waren als ich. Doch das konnte ich Kirkus nicht erzählen. Man kann nicht einfach so und frei heraus sagen: »Einer meiner besten Freunde war ein Streber … oder schwul … oder schwarz … oder ein Jude.« Auch wenn es wahr ist, kann man es nicht sagen. Es gibt vieles, was man nicht einfach so und frei heraus sagen kann.
Also hielt ich den Mund und meine Informationen über die coole Schar von Außenseitern, mit denen ich herumhing, zurück.
Nach einem tiefen Seufzer fuhr Kirkus fort. »Es ist eine Ironie des Schicksals, dass sie mich einen Schwulen, einen Homo oder eine Tunte nannten, lange bevor ich überhaupt sexuelle Beziehungen zu irgendjemandem hatte, egal ob Junge, Mädchen oder Erdferkel. Offensichtlich genügte ihnen mein seltsames Aussehen und Benehmen.«
»Das ist echt gemein«, sagte ich.
»Vielleicht glaubst du es nicht, Ed, aber ich war ein netter junger Bursche. Ich musste mir das unnahbare und zynische Benehmen und das selbstgefällige Auftreten, über das du dich so ärgerst, erst angewöhnen.«
»Man kann sich dich kaum ohne vorstellen.«
»Ich war ein richtiger Schatz.«
Ich lachte leise.
»Nun, wie auch immer, sie haben mich gehasst. Mein schlimmster Unterdrücker war ein Kerl namens Dennis Grant, ein typischer Schultyrann: stark, dick, hässlich und dumm. Er quälte mich ununterbrochen - meistens vor seinen Freunden, um zu zeigen, was für ein harter Bursche
er war. Dann bin ich eines Nachmittags länger in der Schule geblieben, um einem der Lehrer zu helfen. Als ich fertig war, war niemand mehr auf dem Gang. Bis auf Dennis. Er wartete mit seinem Messer auf mich. Er zerrte mich in eine der Toiletten und zwang mich auf die Knie. Dann öffnete er seinen Hosenschlitz und holte ›George‹ heraus. Ich habe keine Ahnung, warum er ihn George nannte.«
Kirkus versuchte vergeblich zu lächeln. Seine Augen waren plötzlich feucht.
»Ich fragte Dennis: ›Was soll ich damit machen?› Er sagte: ›Du weißt genau, was du damit machen sollst, du beschissene Schwuchtel.‹ Ich entgegnete: ›Wer ist hier die Schwuchtel?‹ Es stellte sich raus, dass das ein gewaltiger Fehler war.« Ein paar Tränen liefen aus seinen Augen. Er wischte sie mit dem Handrücken ab. »Auf jeden Fall gab Dennis mir, nachdem er mich zu Brei geschlagen hatte, auf dem schmutzigen Toilettenboden eine erste Kostprobe von George. Das war meine
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