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Finster

Titel: Finster Kostenlos Bücher Online Lesen
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Street.
    Ich sah nach vorn. Ich sah nach rechts. Ich sah nach oben und nach unten. Aber ich sah nicht nach links.
    Nicht, ehe ich am Straßenrand der Division Street stand.
    Wenn jemand eine Straße überquert, erwartet man von ihm, dass er sich zu beiden Seiten umsieht.
    Und das tat ich. Als ich schließlich meinen Kopf nach links wandte, entdeckte ich keinen einzigen Polizeiwagen.
    Kein Auto oder Lieferwagen oder Pick-up oder irgendein anderes Fahrzeug stand auf der Brücke oder irgendwo in der Nähe.

29
    Ein einziges Mal an diesem Nachmittag sah ich Eileen. Ich war auf dem Weg zum Shakespeare-Seminar und stieg die Treppe zum ersten Stock des Englischgebäudes hinauf, als
sie mit ihren Büchern und Heftern vor der Brust heruntertrippelte.
    Sie trug tatsächlich mein Sweatshirt mit dem Uni-Logo und die Kordhose. Keine Mütze, keine Sonnenbrille. Sie versuchte überhaupt nicht, ihre Verletzungen zu verbergen.
    Sie hatte ein blaues Auge. Über ihrer linken Augenbraue, auf dem rechten Wangenknochen und am Kinn klebten Pflaster. Eine Lippe war geschwollen und aufgerissen, am Kinn und am linken Wangenknochen prangten Blutergüsse.
    Als wir uns auf der Treppe begegneten, befanden sich andere Studenten über und unter uns. Sie erwiderte meinen Blick, warf mir ein kurzes Lächeln zu und stieg weiter hinab. Ich spürte einen schwachen Luftzug, als sie an mir vorbeiging.
    Ich hatte das Bedürfnis, mich umzudrehen und ihr nachzublicken, aber ich riss mich zusammen.
    In der Abendausgabe der Lokalzeitung wurde kein Mord unter der Division-Street-Brücke oder sonst wo in der Stadt erwähnt.
    Auch in den Fünf-Uhr-Nachrichten war nicht die Rede von irgendeinem Mord in der friedlichen Gemeinde von Willmington.
    Was ist los?, fragte ich mich. Wir haben uns das doch nicht eingebildet, oder?
     
    An diesem Abend um sieben Uhr saß ich am Küchentisch und lernte, als das Telefon klingelte. Ich sprang auf. Mein Herzschlag setzte aus. Angsterfüllt lief ich zum Telefon und nahm den Hörer ab. »Hallo?«

    »Hallo, Süßer.« Eileens Stimme.
    Süßer. »Hi, wie geht’s?«
    »Ich weiß nicht. Den Umständen entsprechend nicht schlecht. Aber seltsam. Ich bin froh, dass ich dich heute wenigstens gesehen habe.«
    »Ich auch. Du hattest meine Klamotten an.«
    »Ich hoffe, es stört dich nicht.«
    »Es gefällt mir.«
    »Sie sehen gut aus und sind bequem. Meine eigenen Sachen sind alle dreckig … oder das, was davon übrig geblieben ist. Ich hab sie übrigens in deinen Wäschekorb geworfen.«
    »Gut. Vielleicht wasche ich heute Abend eine Maschine.«
    »Weißt du, wie man Blutflecken rauskriegt?«
    »Nicht wirklich.«
    »Vielleicht sollte ich mich darum kümmern.«
    »Kommst du vorbei?«, fragte ich.
    »Nicht heute Abend. Hast du meine Nachricht gelesen?«
    »Ja.«
    »Je seltener wir zusammen gesehen werden, desto besser. Wir sind beide ziemlich lädiert. Unsere Gesichter.«
    »Was hast du den Leuten erzählt?
    »Mein Freund hätte mich verprügelt.«
    »Was?«
    Sie lachte. Es klang gut. »Und du?«, fragte sie.
    »Ich hab gesagt, Kirkus hätte versucht, mich zu ficken.«
    Ihr Lachen wurde lauter. »He, das ist wirklich fies, Eddie. Du solltest dich schämen.«

    »Ja, tut mir leid. In Wirklichkeit hab ich gesagt, ich wäre gegen einen Baum gerannt, als ich ein Frisbee fangen wollte.«
    »Das ist ziemlich gut. Ich hab erzählt, ich wäre vom Baum gefallen.«
    »Was hast du auf dem Baum gemacht?«
    »Der Drachen eines Kindes hat sich darin verfangen. Drüben im Park. Also bin ich hochgeklettert, um ihn runterzuholen.«
    »Das war wirklich eine Heldentat.«
    »Ich weiß. Ich bin eben ein wundervoller Mensch.«
    »Bei uns beiden waren Bäume schuld«, sagte ich.
    »Zwei Dumme, ein Gedanke.«
    Es entstand eine Pause.
    »Also«, sagte sie dann, »meinst du, jemand hört uns ab?«
    »Ziemlich unwahrscheinlich.«
    »Spielt eigentlich auch keine Rolle. Wir haben nichts Falsches getan, oder?«
    »Stimmt«, sagte ich.
    Wenn man mal außer Acht lässt, dass ich wahrscheinlich einen Mann getötet habe. Und dass wir die Beweise vernichten wollten.
    »Ist dir aufgefallen«, fragte sie, »dass niemand irgendetwas darüber zu wissen scheint?«
    »Klar, hab ich auch gemerkt.«
    »Seltsam, oder?«
    »Mehr als seltsam.«
    »Vielleicht hat die Polizei gedacht, mein Anruf wäre ein Streich.«

    »Das könnte sein.«
    »Also, ich hab wirklich lange darüber nachgedacht«, sagte sie, »und das ergibt alles keinen Sinn. Ich glaub, entweder haben sie überhaupt

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