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Finstere Gründe

Finstere Gründe

Titel: Finstere Gründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Verdacht, daß etwas sehr schiefgelaufen war, aber Sie wagten nicht zu telefonieren, um das herauszufinden. Sie hatten keine andere Wahl als zu warten. Ich glaube, daß schließlich ein Anruf für Sie kam, der die Situation klärte, und Sie waren zutiefst enttäuscht und bestürzt — bestürzt genug, um ein paar Tränen zu vergießen. Heute morgen nahmen Sie ein Taxi, um sich mit diesem Burschen zu treffen, der Sie im Stich gelassen hat, und ich glaube, daß Sie irgendwo den Tag zusammen verbracht haben. Sie sind jetzt wieder hier, weil Sie das Wochenende ohnehin gebucht hatten, und Ihr Partner hat Ihnen wahrscheinlich einen Scheck gegeben, um die Rechnung zu begleichen. Sie werden morgen früh abreisen und hoffen, daß Sie das nächste Mal mehr Glück haben.»
    Morse war fertig, und es entstand ein langes Schweigen zwischen ihnen, während dessen er sein Whiskyglas leerte, sie ihr Brandyglas.
    «Noch einen?» fragte Morse.
    «Ja. Aber ich hole sie. Der Scheck, den er mir gab, war mehr als großzügig.» Ihre Stimme war nüchtern, härter jetzt, und Morse wußte, daß der wunderschöne Zauber verblaßt war. Als sie mit den Drinks zurückkam, wechselte sie den Platz und saß ihm steif gegenüber.
    «Würden Sie mir glauben, wenn ich sagte, daß der Koffer meiner Mutter gehört, die Cassandra Samantha Osborne heißt?»
    «Nein», sagte Morse. Für wenige Sekunden glaubte er, einen Ausdruck sanfter Belustigung in ihren Augen wahrzunehmen, aber das war bald vorüber.
    «Was ist mit diesem... diesem
    «Oh, ich weiß alles über ihn.»
    «Sie was ?» Unwillkürlich erhob ihre Stimme sich zu einem quiekenden Falsett, und zwei oder drei Köpfe drehten sich in ihre Richtung.
    «Ich habe die Thames Valley Police angerufen. Wenn man irgendein Autokennzeichen durch den Computer dort...»
    «...erhalten Sie Namen und Anschrift des Besitzers in etwa zehn Sekunden.»
    «In etwa zwei Sekunden», verbesserte Morse.
    «Und das haben Sie getan?»
    «Das habe ich getan.»
    «Lieber Gott. Sie sind ein echter Scheißkerl, was?» Ihre Augen funkelten jetzt vor Zorn.
    «Es ist komisch», sagte Morse und ignorierte die verletzenden Wörter. «Ich kenne seinen Namen — aber Ihren kenne ich noch immer nicht.»
    «Louisa, habe ich Ihnen doch gesagt.»
    «Nein. Glaube ich nicht. Nachdem Sie einmal angefangen hatten, die Rolle von Mrs. Irgendwie Hardinge zu spielen, gefiel Ihnen . Sie wissen vielleicht nicht allzuviel über Coleridge. Aber über Hardy? Das ist etwas anderes. Sie erinnerten sich daran, daß Hardy sich als junger Mann in ein Mädchen verliebte, das nach Klasse, Vermögen und Privilegien etwas höher als er stand, und daß er versuchte, sie zu vergessen. Tatsächlich verbrachte er den Rest seines Lebens mit dem Versuch, sie zu vergessen.»
    Sie schaute auf den Tisch hinunter, während Morse sanft fortfuhr. «Hardy hat nie mit ihr gesprochen. Aber als er ein alter Mann war, ging er manchmal auf den Kirchhof von Stinsford und stand vor ihrem nicht markierten Grab.»
    Jetzt war es Morse, der hinunter auf den Tisch schaute. «Hätten Sie gern noch etwas Kaffee, Madame?» Der Kellner lächelte höflich. Aber schüttelte den Kopf, erhob sich und sagte, schon im Begriff zu gehen:
    «Claire — Claire Osborne — so heiße ich.»
    «Nun, noch einmal vielen Dank — für die Zeitung, Claire.»
    «Nicht der Rede wert.» Ihre Stimme zitterte ein wenig, und ihre Augen waren plötzlich tränenfeucht.
    «Sehen wir uns beim Frühstück?» fragte Morse.
    «Nein. Ich reise früh ab.»
    «Wie heute morgen?»
    «Wie heute morgen.»
    «Ich verstehe», sagte Morse.
    «Vielleicht verstehen Sie zuviel.»
    «Vielleicht verstehe ich nicht genug.»
    «Gute Nacht — Morse.»
    «Gute Nacht. Gute Nacht, Claire.»

    Als Morse eine Stunde und mehrere Drinks später endlich beschloß, sich zurückzuziehen, fand er es schwierig, sich auf mehr als eine leicht schwankende Stufe zur Zeit zu konzentrieren. In der zweiten Etage sah er sich auf dem Treppenabsatz Zimmer 14 gegenüber, und wenn sich unter der Tür nur ein Lichtstreifen gezeigt hätte, so sagte er sich, hätte er vielleicht leise geklopft und sich dem Zorn, der ihn erwartete, gestellt.
    Aber er sah kein Licht.

    Claire Osborne lag bis in die frühen Morgenstunden wach, die Daunendecke beiseite geschoben, die Hände hinter dem Kopf, und versuchte, ihre ruhelosen Blicke zu konzentrieren, versuchte, sie auf einen angenommenen Punkt etwa sechs Zoll

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