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Finstere Gründe

Finstere Gründe

Titel: Finstere Gründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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ein Weg führte durch den Wald

    (Rudyard Kipling, The Way Through the Woods)

    Es war Morses letztes Frühstück im Bay Hotel, an jenem Montag, dem 6.Juli 1992., sechs Tage nach dem langen Gespräch zwischen Strange und Johnson im Präsidium in Kidlington, Oxfordshire. Morse wäre gern noch ein paar Tage länger geblieben, aber das Hotel war ausgebucht, und er hatte ja schon Glück gehabt, überhaupt unterzukommen.
    Während er auf seinen Mixed grill wartete, las er noch einmal den Artikel, wieder an auffallender Stelle auf der ersten Seite — den Artikel, den Howard Phillipson, Literaturkritiker der Times, am vergangenen Freitag versprochen hatte:

    Eine Voruntersuchung

    das interesse an den Versen über das , die in den letzten Wochen in diesen Spalten abdruckt wurden (Freitag, d. 3. Juli), hat die Büros dieser Zeitung überschwemmt, aber ich selbst bin jetzt etwas zurückhaltender, als ich ursprünglich war, hinsichtlich der Lösung des faszinierenden Rate-mal-Rätsels, das in den fünf Strophen dargeboten wird. Ich hatte angenommen, daß in den von der
    Thames Valley Police erhaltenen Informationen durchaus genügend vorhanden sein könnte, um zu bestimmten Schlußfolgerungen zu führen. Ich bin nicht mehr so überzeugt davon.
    Darum biete ich meine eigene dilettantische Analyse des Rätsels nur sehr zögernd an, ziemlich fest überzeugt, daß die Entschlüsseler, Kabbalisten, Kriminologen und Spinner ihre eigenen, wesentlich subtileren Interpretationen dieser quälenden Strophen liefern werden.
    Wenn man mich aber schon fragt — ich schlage vor, daß die Parameter des Problems gegeben sind, wenn auch ziemlich vage. Im modernen Mathematikunterricht (wenn ich das richtig sehe) fragt man die Schüler, bevor sie ein Problem anpacken: «Wie, glaubt ihr, könnte die Antwort aussehen? Was für eine Antwort könnt ihr logischerweise erwarten?» Wenn die Aufgabe zum Beispiel die Geschwindigkeit eines Überschallflugzeugs betrifft, das den Atlantik überquert, ist es unwahrscheinlich, daß die Antwort zehn Meilen per Stunde ist, und jedem Schüler, der zu diesem Ergebnis kommt, wird geraten werden, seine Berechnungen durchzusehen und herauszufinden, wo er ein paar Nullen übersehen haben könnte. Wenn wir herausfinden wollen, wie lange die berühmten Wasserhähne brauchen, um die Familienbadewannen zu füllen, ist die Antwort noch immer eher zehn Minuten als zehn Stunden. Gestatten Sie mir also einige Bemerkungen zu der Art von Lösung, die wir erwarten könnten. (Die Verse sind auf Seite 2 noch einmal abgedruckt.)
    Das Gedicht spielt eindeutig in einer Umgebung; wir haben Torsten, , , ,     Setzen wir also ein Wald- oder Forststück als bekannte Größe voraus, und mein Vorschlag an das Thames Valley CID wäre darum, sein zweifellos begrenztes Menschenpotential auf zwei Gebiete in der Umgebung zu konzentrieren, die am meisten zu versprechen scheinen: das waldige Gebiet rund um Blenheim Palace und den Wytham-Wald — wobei letzterer zunehmend bekannt wird wegen der dort betriebenen Fuchs- und Dachsforschung.
    Wenden wir uns jetzt der konkreteren Bedeutung der Strophen zu. Die Sprecherin des Gedichts, die»persona», ist eindeutig nicht mehr am Leben. Doch ihre dramatische Botschaft ist ganz eindeutig: Sie ist ermordet worden; sie ist ertränkt worden in einem der Seen oder Bäche in einem der Waldstücke (oder einfach hineingeworfen worden); wenn man diese Gewässer durchforscht und absucht, wird man ihre Leiche finden; vielleicht war die Polizei (etwas?) nachlässig, indem sie ihre Ermittlungen nicht mit sehr viel größerer Ausdauer betrieben hat.
    Was kann man aus der Art der Verse selbst schließen? Ihr Verfasser ist sicher kein Herrick oder Housman, doch von der Prosodie her ist der Autor mehr als kompetent. Sein Wortschatz (azurblau, wundersam etc.) gemahnt eher an das Dozentenzimmer als an die Saloon Bar, und die Verskunst, Zeichensetzung und die Ausdrucksweise deuten auf einen gebildeten und belesenen Mann (oder eine ebensolche Frau) hin!
    Kann etwas Genaueres über den Verfasser gesagt werden? Während ich die Verse immer wieder las, spielte ich eine Zeitlang mit der Idee, daß ihr Autor ein Verwandter des toten Mädchens sein könnte. Der Grund für diese

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