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Finstere Gründe

Finstere Gründe

Titel: Finstere Gründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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vorzutäuschen.
    «Sie sind kein Doktor, Sir?» fragte Morse, als die Konfession der fleischlichen Begierden abgeschlossen war.
    «Nein. Meine Doktorarbeit beschäftigte sich mit...»
    «Mit?»
    «Sie versprechen, daß Sie nicht lachen?»
    «Machen Sie einen Versuch.»
    «Das Körpergewicht der Kohlmeise (great tit) im Verhältnis zu ihren verschiedenen Vorkommen in Nordeuropa.»
    Morse lachte nicht. Vögel! So viele Leute in diesem Fall schienen sich für Vögel zu interessieren...
    «Das war echte Forschungsarbeit ?»
    «Es gibt keine andere, soviel ich weiß.»
    «Und Sie wurden darüber geprüft ?»
    «Anders können Sie die Doktorwürde nicht erwerben.»
    «Aber derjenige, der Sie prüfte — er konnte doch nicht soviel wissen wie Sie, oder?»
    «Tatsächlich war es eine sie. Es geht um — nun, das wird behauptet — um die Forschungsarbeit, die Art, wie Sie beobachten, wie Sie Dinge aufzeichnen, nach Kategorien ordnen und dann zu einer Schlußfolgerung kommen. Ein bißchen wie Ihr Job, Inspector.»
    «Ich dachte nur, Sir, daß es vielleicht nicht schwer gewesen wäre, einige der Fakten zu erfinden...»
    Hardinge runzelte die Stirn und beugte den Kopf wieder vor. «Ich habe nichts über die Seckham Villa erfunden, Inspector, wenn es das ist, worauf Sie hinauswollen.»
    «Und dort haben Sie Claire Osborne kennengelernt?»
    «Sie hat Ihnen gesagt, daß das ihr Name sei?»
    «Sie nannte sich auch
    Hardinge lächelte traurig. «Der erste und einzige Tribut, den sie mir gezollt hat! Aber sie liebt es, den Namen zu wechseln — ständig — , sie weiß gar nicht wirklich, wer sie ist — oder was sie will, Inspector. Sie ist so etwas wie ein Chamäleon, nehme ich an. Aber das wissen Sie wahrscheinlich? Wie ich höre, haben Sie sie kennengelernt.»
    «Wie heißt sie wirklich?»
    «Der Name auf ihrer Geburtsurkunde? Ich habe keine Ahnung.»
    Morse schüttelte den Kopf. Gab es in diesem Fall irgend jemanden , der ihm die Wahrheit sagte?
    «Sie ist nie selbst in der Seckham Villa gewesen, soweit ich weiß», fuhr Hardinge fort. «Ich habe sie über eine Agentur kennengelernt. McBryde — Sie haben mit ihm gesprochen? — über McBryde. Sie geben einem Fotos — Interessen — Sie wissen, was ich meine.»
    «Maße?»
    «Maße.»
    «Und Sie sind auf sie geflogen?»
    Hardinge nickte. «Fällt einem nicht schwer, oder?»
    «Sie lieben sie noch immer?»
    «Ja.»
    «Und sie liebt Sie auch?»
    «Nein.»
    «Sie werden mir die Adresse der Agentur geben müssen.»
    «Das habe ich vermutet.»
    «Wie kommen Sie an all das Zeug ran, ohne daß Ihre Frau etwas merkt?»
    «Unauffällige Umschläge — Päckchen — hierher — ins College. Ich bekomme eine Menge wissenschaftliche Unterlagen hierher — kein Problem.»
    «Kein Problem», wiederholte Morse leise, endlich mit einem gewissen Widerwillen in der Stimme, während die Autorität auf dem Gebiet der Kohlmeisen eine kurze Adresse notierte.
    Hardinge beobachtete von seinem Fenster aus, wie der Chief Inspector auf die Pförtnerloge neben dem gut gewässerten, unkrautfreien Rasen des vorderen Innenhofes zuging. Er schien Verständnis zu haben, und vermutlich sollte er, Hardinge, dankbar dafür sein. Aber wenn Morse etwas intelligenter wäre, hätte er vielleicht ein oder zwei scharfsinnigere Fragen zu Myton gestellt. Hardinge jedenfalls kannte unter anderem die Fernsehgesellschaft, für die gearbeitet zu haben der lüsterne Kameramann behauptete. Doch merkwürdigerweise schien der Chief Inspector sich wesentlich mehr für Claire Osborne zu interessieren als für den widerlichsten Menschen, dem zu begegnen Hardinge je das Pech gehabt hatte.

Kapitel vierzig

    Dann lernte der kleine Hiawatha
    Von jedem Vogel seine Sprache,
    Seinen Namen und all seine Geheimnisse

    (Henry Wadsworth Longfellow,
    The Song of Hiawatha)

    An jenem Nachmittag hatte PC Pollard vom Leben, wie er seine Gemütsverfassungseinen Kollegen in Kidlington später schilderte. Er hatte über zwei Stunden mit niemandem gesprochen, seit die beiden Burschen vom Pathologie-Labor dagewesen waren, um das abgeriegelte Gebiet zu durchsuchen und aus der bräunlichen Erddecke, wo die Knochen gelegen hatten, mehrere Spatenstiche herauszuheben und sie in durchsichtigen Plastiktüten abzutransportieren. Nicht daß sie viel zu ihm gesagt hätten, als sie kurz nach der Lunchpause gekommen waren: die Art von Männern (Pollard zweifelte kaum daran) mit akademischen Graden in den

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