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Finstere Gründe

Finstere Gründe

Titel: Finstere Gründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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    Der Waldbaumläufer war verschwunden, und der Kleinspecht ebenfalls, als Pollard widerwillig zu seinem Posten zurückkehrte.
    Und etwas anderes war auch verschwunden.

Kapitel einundvierzig

    Nach und nach haben die Agenten die Welt übernommen. Sie tun nichts, sie machen nichts — sie stehen nur da und nehmen sich ihren Anteil

    (Jean Giradoux, Die Irre von Chaillot)

    Ob die Agentur sehr beschäftigt war, oder ob das Telefon kaputt war,oder ob irgend jemand einfach nicht mit ihm sprechen wollte — Morse hatte keine Ahnung. Aber es war 16.30 Uhr, bevor er endlich durchkam, und 17 Uhr, bevor er, im Verkehrsgewühl kriechend, schließlich auf dem kleinen betonierten Parkplatz der Elite Booking Services in der Abingdon Road hielt. Das Unternehmen, so schien es Morse, hätte eigentlich ein glitzerndes Gebäude aus Marmor und Glas sein sollen, mit einer verführerischen und wahrscheinlich oben-ohne Brünetten am Empfang, die nachdenklich ihre langen scharlachroten Fingernägel betrachtete. Aber so war es nicht.
    Das vordere Zimmer der etwas schäbigen Doppelhaushälfte war so vollgestopft mit Aktenordnern und Pappkartons, daß nur Platz da war für zwei geradlehnige Stühle — für die beiden Geschäftsinhaberinnen: Eine davon war sehr umfangreich und gewiß schlecht beraten, einen karmesinroten Hosenrock zu tragen; die andere war ziemlich klein und flachbrüstig und trug schwarze Strümpfe und einen mini Minirock. Beide rauchten Mentholzigaretten, und nach den übervollen Aschenbechern im Zimmer zu urteilen, rauchten beide ununterbrochen Mentholzigaretten. Morse hatte instinktiv das Gefühl, daß die Dünne der Boss sei — wenn es überhaupt einen gab. Aber es war die umfangreiche Frau (Ende zwanzig?), die zuerst sprach:
    «Das ist Selina, meine Assistentin. Ich bin Michelle — Michelle Thompson. Was kann ich für Sie tun?»
    Ihr Lächeln mit den Grübchen in den runden Wangen schien warm, sogar attraktiv, und Morse akzeptierte — unwillig — Selinas Stuhl, stellte seine Fragen und erhielt seine Antworten.
    Die Agentur empfing, verglich und verteilte aus allen Teilen des Landes, die nützlich und von Interesse sein könnten für verschiedenartige Unternehmen von Fernsehanstalten zu Filmproduzenten, Modedesignern, Magazinherausgebern und, nun, Händlern mit etwas anrüchigeren Produkten. In ihren Verträgen distanzierte die Agentur sich offiziell, legal und ausdrücklich von irgendwelchen Verpflichtungen im Fall von Mißbrauch ihrer Leistungen. Wenn ein bestimmter Kunde ein bestimmtes Modell buchte, wurde eine solche Buchung abgeschlossen mit dem strikten Vorbehalt, daß jeder Mißbrauch der vertraglichen Vereinbarungen zwischen Modell und Kunden zu regeln sei — nie zwischen Modell und Agentur. Aber Schwierigkeiten dieser Art waren selten — sehr selten. McBryde war seit etwa zwei Jahren Kunde: ein sehr guter Kunde, wenn vollständige und prompte Zahlung der Maßstab waren — 80 Prozent des ausgehandelten Honorars an das Modell, 20 Prozent an die Agentur.
    Jedes Jahr im Frühling wurde ein Modell-Jahresbuch herausgebracht; es gab natürlich immer neue Modelle und immer neue Kunden mit neuen, unterschiedlichen Interessen. Aber eine der Vertragsbedingungen war es («Schrecklich wichtig, Inspector!»), daß jede ursprünglich der Agentur preisgegebene Information hinsichtlich bestimmter Modelle und jede in der Folge von der Agentur erhaltene Information über Aktivitäten von Kunden oder Modellen immer streng vertraulich behandelt würde. Und das müsse auch so bleiben, außer, na ja... Aber zumindest könne der Inspector doch verstehen — wenn das Vertrauen erst dahin sei...
    «Und darum haben Sie sich nie mit der Polizei in Verbindung gesetzt?»
    «Genau», erklärte Ms. Thompson.
    Die Verbindung zur YWCA in London sei sehr einfach. Die Frau, die von der Polizei befragt worden sei, Mrs. Audrey Morris, war Ms. Thompsons Schwester. Am Freitag bevor Karin per Anhalter nach Oxford gefahren war, hatte Audrey angerufen und gesagt, daß sie eine junge schwedische Studentin bei sich hätten, die nur noch ein paar Pence besitze, daß die YWCA ihr eine Zehnpfundnote aus ihrem Hilfsfonds gegeben hätte, daß Audrey ihr Namen, Anschrift und Telefonnummer der Elite-Agentur aufgeschrieben habe, und sie hätte Michelle versichert,

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