Finstere Gründe
Naturwissenschaften und Biochemie und all dem Quatsch. Er sah natürlich ein, daß solche Leute nötig waren, obwohl er fand, daß die Polizei allmählich zu viele von diesen Klugscheißern von den Universitäten einstellte. Er sah ein, daß es wichtig war, die Neugierigen vom Tatort fernzuhalten — wenn es ein Verbrechen war. Wer genau diese Leute eigentlich waren, wußte er nicht so recht. Ein Pärchen mußte einen Zeltboden für ein bißchen heimlichen Sex ganz schön weit tragen, und sicher würden sie doch nicht dorthin gehen? Er hatte auf dem Weg ein paar Vogelbeobachter gesehen, aber auch nicht dort. Es war zu dunkel, und die Vögel konnten nirgends hineinfliegen; es wäre, als versuchten Flugzeuge, zwischen den Seilen von Sperrballons hindurchzufliegen.
Der Nachmittag hatte sich müde dahingeschleppt, und zum x-tenmal warf Pollard einen Blick auf seine Uhr: 16.25 Uhr. Für 17 Uhr war ein Polizeiwagen am Singing Way versprochen, mit weiteren Instruktionen und—hoffentlich — mit einer Ablösung. Wenn sie nicht beschlossen, die ganze Sache zu streichen, nachdem der Boden durchkämmt worden und die erste Aufregung erloschen war.
16.45 Uhr.
16.55 Uhr.
Pollard faltete sein Exemplar der Sun zusammen und nahm die Feldflasche, die sie ihm gegeben hatten, vom Boden auf. Er setzte sich die schwarzweiß karierte Mütze auf und folgte langsam dem Waldweg, ohne einen winzigen Waldbaumläufer zu bemerken, der in Spiralen an einer Buche links von Pollard hinauflief, noch einen Kleinspecht, der ein Stück weiter plötzlich sehr still auf einem kurzen Eichenast verharrte, als die knirschenden Schritte sich vorbeibewegten.
Auch ein anderes Augenpaar beobachtete den Rücken des hemdsärmeligen Constable, wie er sich immer weiter entfernte; die Augen eines Mannes, der sich nicht rührte, bis es wieder vollkommen still im Wald war, mit nur gelegentlichen Vogelrufen — dem dünnen des Waldbaumläufers und nach einer Weile dem hohen des Spechts, das durch den späten, stillen Sommernachmittag tönte. Denn im Gegensatz zu Constable Pollard wußte dieser Mann viel über den Wald und über die Vögel.
Der Mann bahnte sich einen Weg zu dem Waldstück hinter dem abgesperrten Gebiet, beugte sich vor und begann mit unablässig auf den Boden gehefteten Blicken so langsam, wie das Gelände es gestattete, das Terrain zu sondieren, etwa zwanzig Meter weit, bevor er kehrtmachte und seine Schritte etwa eineinhalb Meter tiefer in den Wald zurückverfolgte. Er wiederholte diesen Vorgang immer wieder, bis er eine Fläche von an die fünfzehn Quadratmeter abgeschritten hatte. Ein- oder zweimal hob er irgendeinen Gegenstand von dem dicht bewachsenen Boden auf, nur um ihn umgehend wieder fortzuwerfen. Das gleiche wiederholte er in dem links von dem abgesperrten Gebiet liegenden Gelände — das selbst er kein einziges Mal betrat - und arbeitete sich langsam vor, ständig wachsam, ständig auf der Hut und manchmal zur Regungslosigkeit erstarrend. Auf diese Weise betätigte er sich über eine Stunde, wie ein Ochse, der die Pflugschar bis zum Ende des Feldes zieht, dann kehrtmacht und eine parallele Furche gräbt, von rechts nach links... links nach rechts. Bustrophedon — Furchenschrift.
Kurz nach 18 Uhr fand er es. Beinahe hätte er es übersehen; nur die Spitze des schwarzen Griffes schaute heraus. Seine Augen glitzerten mit der Hochstimmung des Jägers, der sich auf sein Opfer stürzt, doch noch als er seinen Fund in die Tasche steckte, erstarrte sein Körper von neuem. Ein Rascheln... in der Nähe. Sehr nahe. Dann fühlte er, ebenso plötzlich, wie seine Schultermuskeln sich entspannten, sich auf wunderbare Art entspannten. Der Fuchs stand nur drei Meter entfernt von ihm, die Ohren gespitzt, und starrte ihm frech in die Augen, bevor er sich umdrehte und ins Unterholz trottete, als ob er beschlossen hätte, daß dieser Eindringling jedenfalls kaum sein altehrwürdiges Territorium molestieren würde.
Der Polizeiwagen kam sehr spät ( sagte der Fahrer), und sie könnten alle vier — die drei an den Fahrzeugzugängen zu dem Wald und Pollard selbst — leider erst um 19 Uhr abgelöst werden. Priorität hatten noch immer die Jugendlichen mit ihren Spritztouren in gestohlenen Autos, und ohnehin schien niemand zu wissen, wer eigentlich dort verantwortlich war: Sergeant Lewis war zu einem Ski-Urlaub nach Schweden abgehauen — lieber Gott! —, und Chief Inspector Morse, zur Hölle mit ihm!, war vorübergehend
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