Finstere Gründe
Hobson. Er meint es gut, nicht wahr, Lewis?»
Morse schaute auf die schlanken Kurven ihrer Beine, als sie sein Büro mit noch immer geröteten Wangen verließ.
«Worum ging es denn überhaupt?» setzte Lewis an.
«Etwas empfindlich, wie man sie nennt, das ist alles.»
«So ähnlich wie Sie, Sir?»
«Sie ist nett, finden Sie nicht?» fragte Morse und ignorierte die sanfte Stichelei.
«Um die Wahrheit zu sagen, Sir, ich finde, sie ist toll.»
Aus irgendeinem Grund kam diese einfache Feststellung einer Tatsache, von einem ehrlichen und rechtschaffenen Mann gemacht, überraschend für Morse. Es war, als habe die schlichte Verkündung eines ganz offensichtlichen Tatbestandes ihn zum erstenmal seine Wahrheit erkennen lassen. Und für ein paar Sekunden hoffte er, daß Dr. Laura Hobson zurückkommen würde, weil sie etwas vergessen hatte. Aber sie war eine ordentliche junge Frau und hatte nichts vergessen.
Kurz bevor Morse und Lewis das Büro verließen, um in der Kantine eine Tasse Kaffee zu trinken, wurde ein Anruf von PC Pollard durchgestellt. Dieser nicht besonders engagierte Wächter von Pasticks war einer von vier uniformierten Constables, die zu den in alle Himmelsrichtungen führenden Eingängen von Blenheim Park abkommandiert worden waren. Jetzt rief er an, mit leicht erregter Stimme, um zu melden, daß der Landrover vom Wytham-Wald, gefahren von David Michaels (den er sofort erkannt hatte), soeben in das Garten-Zentrum dort gefahren war. Sollte er versuchen, herauszufinden, was da geschah? Sollte er... ermitteln ?
Morse übernahm das tragbare Telefon von Lewis. «Guter Mann! Ja, versuchen Sie herauszufinden, was da los ist. Aber machen Sie es nicht zu offensichtlich, okay?»
«Wie zum Teufel soll er das anfangen?» fragte Lewis, als Morse fertig war. «Er ist in Uniform !»
«Ist er? Oh.» Morse schien kein rechtes Interesse an der Angelegenheit zu haben. «Wird sich aber wichtig vorkommen, glauben Sie nicht?»
Chief Inspector Johnson war bei seiner zweiten Tasse Kaffee, als Morse und Lewis in die Kantine kamen. Er hob eine Hand und winkte Morse zu sich: Er wäre dankbar für ein paar Worte, wenn das in Ordnung sei. Aber nur sie beide, nur er und Morse.
Zehn Minuten später erfuhr Morse in Johnsons kleinem Büro im zweiten Stockwerk von dem roten Taschenkalender, der am Tag zuvor bei Philip Daley gefunden worden war. Aber bevor die beiden Polizisten über die Sache sprachen, war es Johnson, der das Friedensangebot machte:
«Hören Sie. Wenn es etwas böses Blut gegeben hat — vergessen wir’s, was? Was meinen Sie?»
«Kein böses Blut bei mir», behauptete Morse.
«Bei mir schon», sagte Johnson leise.
«Ja! Bei mir auch», gab Morse zu.
«Also alles okay?»
«Alles okay.»
Die beiden Männer schüttelten sich die Hand, fest, wenn auch ohne Lächeln, und dann schilderte Johnson seinen Fall. In den letzten Tagen hatte es eine Flut von Informationen gegeben, und etwas war jetzt ziemlich sicher: Daley junior war einer von den vier Jugendlichen in dem gestohlenen BMW gewesen — allerdings nicht der Fahrer —, mit dem Marion Bridewell überfahren worden war. Nach allen Berichten waren die Hinterreifen außer Kontrolle geraten und hatten das arme kleine Ding durch ein Ladenfenster geschleudert.
«Merkwürdiger Zufall, daß der Junge in beide Fälle verwickelt ist», sagte Morse.
«Aber Zufälle haben Sie noch nie gestört, nicht?»
Morse zuckte mit den Schultern. «Ich glaube nicht, daß er viel mit dem Eriksson-Fall zu tun hatte.»
«Außer daß er den Fotoapparat hatte», sagte Johnson langsam.
«Ja-a.» Morse runzelte die Stirn. Etwas beunruhigte ihn ein wenig, wie ein Sandkörnchen in einem gutgeölten Mechanismus; wie ein kleines Stück Schale in einem weichgekochten Ei.
Seit dem Unglück hatte Mrs. Lynne Hardinge, eine schlanke, gepflegte, grauhaarige Frau von fünfzig, sich mit fast hektischer Energie in ihre wohltätigen Aktivitäten gestürzt: Essen auf Rädern, Cruse, Altenhilfe, Unterstützung von Opfern... Jedermann sagte, was für eine großartige Frau sie sei, wie gut sie mit allem fertig werde.
Zu der Zeit, als Morse und Johnson miteinander redeten, verließ sie den Beifahrersitz des achtfenstrigen Volvo, nahm zwei mit Stanniol beschichtete Behälter an sich, Hauptgericht und Nachtisch, und klopfte energisch an eine Tür in der Osney Mead-Siedlung.
Die meisten jener, die ihr Essen auf Rädern viermal die Woche erhielten, waren dankbar und freundlich. Aber nicht
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