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Finstere Gründe

Finstere Gründe

Titel: Finstere Gründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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    Morse erwachte in der geräuschlosen Dunkelheit. Seit seiner Jugend waren ihm gelegentliche halberotische Tagträume nicht fremd gewesen, doch bisher hatte er selten nachts von schönen Frauen geträumt. Aber gerade jetzt — merkwürdig! — hatte er einen sehr lebhaften Traum geträumt. Nicht von einer der schönen Frauen, denen er bisher in dem Fall Schwedenmädchen begegnet war — nicht von Claire Osborne noch von Laura Hobson, sondern von Margaret Daley, der Frau mit den blond-grauen Strähnen im Haar, das Lewis zu seiner Kardinalfrage veranlaßt hatte: «Warum denken Sie, wollen manche Leute sich älter machen, als sie sind, Sir? Scheint mir die Sache auf den Kopf zu stellen.» Aber in Morses Traum war Margaret Daley ganz jung. Und irgendwo in dem Traum war ein Brief gewesen: Aber es gab natürlich keinen Brief; nur die Worte, die in seinen Gedanken jemand gesagt hatte. Er stand auf und machte sich eine Tasse Pulverkaffee. Auf dem Küchenkalender sah er, daß die Sonne um 5.19 Uhr aufgehen würde. Er ging wieder ins Bett, drehte sich auf den Rücken, die Hände hinter dem Kopf, und wartete geduldig auf die Dämmerung.

Kapitel neunundvierzig

    Eine Vereinigung von Männern, die nicht miteinander streiten, ist etwas, das es noch nie gegeben hat, vom größten Staatenbund bis hinunter zu einer Bürgerversammlung oder der Versammlung einer Kirchengemeinde

    (Thomas Jefferson, Letters)

    Dr. Laura Hobson, eine von jenen Frauen, die nicht über die Schwelle zu Morses Träumen eingeladen worden war, betrat am folgenden Morgen kurz vor neun Uhr sein Büro, wo sie, nachdem sie mit Sergeant Lewis bekannt gemacht worden war, sich setzte und sagte, was sie zu sagen hatte.
    Es lief, gab sie zu, eigentlich auf recht wenig hinaus, und es stand ohnehin alles in dem Bericht. Aber sie vermutete, daß der Mann, dessen Knochen in Pasticks gefunden worden waren, etwa dreißig Jahre alt war, von mittlerer Größe, mindestens seit neun oder zehn Monaten tot war, durchaus ermordet worden sein könnte — mit einer Messerwunde im Herzen, die ihm vielleicht von einem rechtshändigen Täter beigebracht worden war. Die Spuren von Blut, die neben und unter der Leiche gefunden worden waren, gehörten zur Blutgruppe o, und obwohl das Blut von anderen Verletzungen stammen oder die Wunde durch andere Werkzeuge beigebracht sein konnte, nun, bezweifelte sie das eigentlich. Das wäre also das. Der Körper war sehr wahrscheinlich dort (Morse zuckte zusammen), wo man die Knochen gefunden hatte; es schien nicht wahrscheinlich, daß er nach Eintreten des Todes dorthin getragen oder gezerrt worden war. Es gab noch andere Untersuchungen, die man durchführen könnte, doch (nach Dr. Hobsons Ansicht zumindest) blieb kaum noch etwas zu entdecken.
    Morse hatte sie aufmerksam beobachtet, während sie sprach. Bei ihrer ersten Begegnung hatte er ihren nordenglischen Akzent (war es Newcastle? Durham City?) ein wenig störend gefunden, aber allmählich fragte er sich, ob sie nicht etwas übertrieb. Auch die hohen Backenknochen fielen ihm wieder auf, und die etwas atemlose Art zu sprechen. Machte er sie nervös ?
    Morse war nicht der einzige, der die neue Pathologin mit stiller Bewunderung anschaute, und als sie ihm die vier getippten Bögen ihres Berichts übergab, stellte Lewis die Frage, die ihm seit zehn Minuten auf den Lippen brannte:
    «Sie kommen aus Newcastle?»
    «Schön, es einmal richtig ausgesprochen zu hören! Etwas außerhalb von Newcastle.»
    Morse hörte nicht besonders geduldig zu, als die beiden ein paar lokale Reminiszenzen austauschten, bevor sie aufstanden und zur Tür gingen.
    «Ist jedenfalls nett, Sie kennenzulernen», sagte Lewis. Dann wedelte er mit dem Bericht und sagte: «Und vielen Dank für dies, Schatz!»
    Ihre Schultern strafften sich plötzlich, und sie atmete hörbar aus. «Hören Sie! Ich bin nicht Ihr , Sergeant. Sie müssen meine Unhöflichkeit verzeihen, aber ich bin niemands oder...»
    Aber als sie Morse neben der Tür über das ganze Gesicht grinsen und Lewis etwas verlegen am Schreibtisch stehen sah, hielt sie plötzlich inne.
    «Es tut mir leid, es ist nur so, daß ich...»
    «Bitte verzeihen Sie meinem Sergeant, Dr.

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