Finstere Propheziung
eingeladen«, half Cam nach. »So in etwa. Ich meine, sie ist die Jugendvorsitzende von dieser Stiftung. Ihr wisst schon, >Der letzte Wunsch<.«
»Ist das nicht eine Organisation für ernsthaft kranke Kids?«, erkundigte sich Alex. »Na ja, wahrscheinlich«, gab Tonya zögernd zu. »Du hast ihr erzählt, dass du krank seist, stimmt's?«, riet Cam. »Das hat Marleigh gemeint, als sie davon sprach, wie tragisch das mit dir ist. Du hast so getan, als müsstest du sterben.«
»Knochenkrebs«, gestand Tonya und wieder quollen Tränen aus ihren rot geränderten Augen. »Und ... na ja, irgendwie so, als ob man mir demnächst ein Bein amputieren würde.« Beim Wort Krebs überlief Alex ein Zittern. Einen Moment lang stockte ihr der Atem.
»Deswegen bist du damals auch auf Krücken durch die Gegend gehumpelt«, sagte Cam gerade.
»Na ja, ich hab mir beim Training schon ein bisschen den Knöchel verstaucht, weißt du das nicht mehr?«, wehrte Tonya ab. »Sicher«, knurrte Alex sie an. »Verstauchter Knöchel, Krebs, ist ja fast dasselbe.«
»Du hast Marleigh angelogen«, sagte Cam. »Du hast ihr erzählt, dass du sterben würdest, hab ich Recht?«
»Nur damit sie nach Marble Bay kommt«, fügte Alex hinzu und versuchte gar nicht erst, ihre Abscheu zu verbergen. » Nur um ein bisschen rumzuprahlen, vor einem Haufen verwöhnter ... «
»Vor deiner Mannschaft«, schnitt Cam ihr das Wort ab. »Das kann ich sogar noch verstehen. Du wolltest uns beeindrucken, also hast du ... «
Jetzt brach es aus Tonya wie eine Flut. Sie erinnerte Alex an einen Eisberg, der in rasantem Tempo schmilzt, oder an eine in sich zusammensackende Sandburg. »Ich wollte, dass alle in der Schule sehen, wie cool ich sein kann. Aber ich hab es auch meinetwegen gemacht. Für Marleigh und mich.« Durch einen Strom von Tränen hindurch schüttete Tonya ihnen ihr Herz aus.
Sie glaubte tatsächlich, dass sie und Marleigh gute Freundinnen werden könnten, wenn Marleigh sie erst richtig kennen lernte. Also hatte sie diesen »unschuldigen« Plan ausgeheckt, »so zu tun« als würde Marleigh entführt. »Nur ein paar Tage lang«, meinte sie, als ob die ganze Sache dadurch in Ordnung wäre! Dann hätte Tonya die Sängerin retten sollen und Marleigh wäre ihr so dankbar gewesen, dass sie für ewig und alle Zeiten ihre Freundin geworden wäre. Natürlich hatte Tonya Hilfe gebraucht. Sie fand sie in der finsteren Gestalt von Kevin Bullock, dem Deppen vom Music & More. Er war derjenige gewesen, der es Tonya erlaubt hatte, den Computer im Hinterzimmer zu benutzen. Natürlich gegen eine gewisse Gebühr. Und für eine noch höhere Gebühr hatte er sich bereit erklärt, Tonya bei der Ausführung ihres durchgeknallten Entführungs-Plans zu helfen. Auf einmal hatte Cam einen entmutigenden Gedanken. Sie blickte zu Alex und fragte sich, ob ihr wohl dasselbe eingefallen war. Oder ob, so nervtötend das auch sein würde, Alex zuerst darauf gekommen war und die Idee zu Cam »herübergeschickt« hatte. »Der verrückte Fan«, flüsterte sie unhörbar. »Der >Verehrer<.« Alex Lippen bewegten sich zur gleichen Zeit. »Das warst du«, sagten beide und sahen auf Tonya herab. »Na und? Es gibt doch kein Gesetz, das einem verbietet, Fanpost zu schreiben, oder?«, antwortete Tonya. »Nein, natürlich nicht«, versicherte Cam. »Aber eins gegen Kidnappen«, drohte Alex. »Na gut, na gut, die Briefe waren von mir«, gab Tonya zu. »Und nur damit ihr Bescheid wisst: Da war nichts Abgedrehtes oder Durchgeknalltes dran, wie jetzt alle behaupten, sie waren nur sehr gefühlvoll, so wie ich eben bin. Ich hab das E-Mail-Programm bei Music & More benutzt, weil ich die Briefe nicht von zu Hause abschicken wollte, meine Eltern hätten sie sonst vielleicht sehen können.« Tonya stieß ein bitteres Lachen aus. »Als ob die sich jemals dafür interessieren würden, was ich so mache. Aber wenn sie auf ihren Reisen sind, dann benutzen sie oft E-Mails und sie kennen mein Geheimwort.«
»Schon gut!« Alex war mit ihrer Geduld am Ende. »Du behauptest also, dass Kevin genau das gemacht hat, wofür du ihn bezahlt hast - dass er aber leider den Teil mit dem >nur so tun< vergessen und Marleigh richtig entführt hat. Aber wie? Und vor allem: Wo ist sie jetzt?« Tonya fuhr mit ihrer Geschichte fort. Cam fand das alles furchtbar traurig, Alex eher jämmerlich. Genau wie vereinbart, hatte Kevin sie während des Spiels auf ihrem Handy angerufen. Tonya hatte daraufhin Marleigh gesagt, dass unten ein Wagen auf
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