Finsteres Gold
das über meinem Bett hängt: Das Bild einer Kerze, die mit Stacheldraht umwickelt ist, eine Flamme, die immer noch brennt.
In meinem Traum kamen auch Flammen vor. Sie züngelten mir um die Beine, und ich rannte durch sie hindurch, rannte die Treppe in einem Haus hinauf, rannte zu jemandem. Jede Faser meines Körpers wollte die Treppe hinauf, weiter hinein in das Feuer. Das Treppenhaus erinnerte mich an die große Elfenvilla, wo wir meinen Vater und die anderen eingesperrt haben. Einen Augenblick lang dachte ich, dass er derjenige sei, den ich suchte, aber auf einmal wurde mir klar, dass er es nicht war. Nick rief unten an der Treppe meinen Namen, aber ich ignorierte ihn und stürmte immer weiter in die Flammen hinein, wo der blonde Elf auf mich wartete.
Dann schrie Nick. Ich drehte mich um und sah, dass er von Elfen umzingelt war, von hungrigen Elfen, die an seinen Kleidern, an seinem Körper rissen. Ich zögerte, und das ist der schlimmste Teil des Traums, mein Zögern. Die Flammen waren so verlockend, der Drang, weiter in das Haus hineinzugehen, so groß. Aber dann ignorierte ich mein inneres Verlangen und ging zu ihm zurück. Und dann? Bang! Etwas packte mich von hinten. Ich schrie auf. Und Betty weckte mich.
Das war’s. Ende des Traums.
Mann, ich hasse Träume. Warum können sie einem ein schlechtes Gewissen machen, wenn sie nicht einmal wirklich sind?
Vor lauter Sorgen kann ich nicht mehr einschlafen. Ich stehe auf und klappe Grandmas Laptop auf, den sie mir ausgeliehen hat, bis wir in Bangor einen Ersatz für meinen gekauft haben. Ich öffne meinen E-Mail-Account und lese das Schreiben zur aktuellen AI-Aktion. Es geht um Fidelis Chiramba, Gandhi Mudzingwa und Kisimusi Dhlamini, die trotz schwerer gesundheitlicher Probleme in Zimbabwe im Gefängnis sitzen, nur weil sie politisch aktiv waren. Sie durften noch nicht einmal vor Gericht erscheinen. Das macht mich wahnsinnig. Ich feure eine E-Mail an die Regierung Zimbabwes ab und überlege, dass ich mich für die Schule fertig machen könnte.
Aber dann arbeite ich lieber ein bisschen an dem Elfenhandbuch, und zwar an dem Kapitel »Schutz vor Elfen«. Aber auch das wird öde. Also schlendere ich zum Fenster und ziehe die Vorhänge auf. Der Himmel ist hellblau, ein brandneuer Tag. Ich frage mich, wie es wohl den inhaftierten Mönchen geht, von denen ich gelesen habe, wie ihr Himmel aussieht, sofern sie ihn überhaupt sehen können, und ob ihre Kerze der Hoffnung angesichts schlimmer Ereignisse flackert.
Die Bäume direkt hinter der Einfahrt schwanken im Wind, und einen Augenblick lang scheint es, als bewege sich etwas zwischen den Stämmen, ein Mann. Ich fröstle. Das erinnert mich daran, wie mein Vater immer auftauchte und verschwand, bevor er mir endlich sagte, wer er war und was er wollte.
»Er ist eingesperrt«, verkünde ich dem Fenster. Es beschlägt von meinem Atem. Mit den Fingerspitzen reibe ich die Feuchtigkeit weg. »Und ich weise den Gedanken zurück, dass der andere Elfentyp da draußen sein könnte.«
Ich bemühe mich, meine Stimme fest klingen zu lassen. »Ich weise ihn absolut zurück.«
Die Bäume schwanken noch stärker, und einen Augenblick lang schwanke ich auch. Mir ist schwindelig, und ich bin verwirrt. Ich schüttle den Kopf und stelle mir Nicks Gesicht vor, die Linie seines Kinns, seine Augen, aus denen der Übermut hervorblitzt. Dann wende ich dem Wald den Rücken zu und gehe duschen
Beim Anziehen habe ich eine Idee. Mein Stiefvater schrieb vor langer Zeit eine Notiz an den Rand eines Steven-King-Romans, in der er uns vor Elfen warnte. Vielleicht hat er das öfter mal gemacht. Dass Betty und meine Mom nichts von Walhalla und Walküren wissen, muss nicht heißen, dass er ebenfalls nichts davon wusste. Ich stürme in sein altes Zimmer und lasse den Blick über die zerlesenen Taschenbücher in seinem Regal wandern. Es sind fast nur Bücher von Steven King. Auf dem obersten Regal geht es los mit Kings erstem Buch Carrie dann folgen chronologisch seine weiteren Bücher bis Albträume, das ist eine Sammlung von Kurzgeschichten, die 1993 erschienen ist. Steven King hat seither viele Romane geschrieben, aber sie sind nicht hier. Wahrscheinlich stehen sie in unserem Haus in Charleston. Ich blättere alle durch, überfliege die Seiten auf der Suche nach der Handschrift meines Vaters irgendwo auf den Seitenrändern. Kurze Notizen über irgendetwas, Anzeichen dafür, dass es ihn gegeben hat. Manchmal spüre ich schon beim Anblick eines
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